Inana Othman - "Und ihr schaut dabei zu"

© Lou Huber-Eustachi/jib collective/Amnesty International
Vor zehn Jahren kam Inana Othman (25) aus Syrien nach Deutschland. Schon als Jugendliche war sie mit Rassismus konfrontiert.
Gemeinsam mit zwei geflüchteten Syrern war ich im November 2016 in einem Bus unterwegs. Nach uns stieg eine Frau, Ende 20, ein und regte sich auf: "Auch im Bus nehmt ihr uns den Platz weg." Ich ignorierte sie. Zwei Busstationen lang saß sie mir schräg gegenüber und hörte nicht auf, mich laut anzumachen: Perverses, Rassistisches, Schimpfwörter. Den beiden Jungs übersetzte ich das nicht, ich wollte sie raushalten. Bevor wir ausstiegen, stellte ich mich neben die Tür. Daraufhin steuerte die Frau ihren ersehnten Sitzplatz an. Statt hinter mir vorbeizugehen, drängelte sie sich vor mir durch, wo es keinen Platz gab. Mir ganz nah, starrte sie mir drohend in die Augen. Sie sagte: "Mach den Weg frei". Ich hielt kritischen Augenkontakt, machte ihr dann irgendwie Platz.
"So soll es sein. Ihr habt uns zu gehorchen", sagte sie. Ich antwortete: "Wie lange willst du mich noch anmachen? Wie weit soll das gehen?" Sie war überrascht. Sie hatte wohl angenommen, dass ich kein Deutsch verstehe. Sie schrie, sammelte Speichel und spuckte mich an. Ich schaute mich im Bus um. Niemand regte sich. Dann sagte ich zu ihr: "Spuck mich noch mal an." Und fragend zu den anderen: "Schaut ihr gerne dabei zu?". Ich wollte mich damit an die anderen Leute im Bus wenden, auch an eine Frau, die direkt neben uns saß. Sie reagierte jedoch nicht, genauso wenig wie der Busfahrer, der alles im Spiegel beobachtet hatte.
© Amnesty International, Video: Lou Huber-Eustachi
Ich habe Zeit gebraucht, um das Erlebte zu reflektieren. Nicht der rassistische Akt an sich, sondern die Gesamtsituation verletzte mich. Sich unter Menschen zu befinden und doch alleine sein: Das hat mich schockiert. Die Reaktion der anderen Menschen – und ich nenne das explizit Reaktion – fand ich am verletzendsten. Die aggressive Frau war rassistisch und artikulierte es. Aber die anderen: Ich weiß nicht, was das für Menschen sind. Man muss nicht von Rassismus betroffen sein, um den Drang zu spüren, etwas dagegen zu tun. Das ist eine Sache, die jeden angeht. Weil jeder in gewisser Weise davon betroffen ist. Man muss nicht Frau oder Ausländerin sein, sondern einfach ein Mensch, der in seiner Menschlichkeit angesprochen ist. Viele wissen nicht, was ihr Verhalten auslöst, wie stark ein Blick, ein Wort sein kann.
Als Halbkurdin und Halbaraberin war ich schon als Kind mit Zuschreibungen konfrontiert. In Syrien wusste ich nicht, wo ich hingehörte. Und in Deutschland war ich mit neuen Fremdzuschreibungen konfrontiert: Muslima, Araberin, Kurdin, Ausländerin, Migrantin, Flüchtling. Das hat mir viel abgerungen. Als 15-Jährige musste ich mich beweisen: als netter Mensch, als nichtradikal, offen, lustig, alles, was selbstverständlich war. Auch dass ich Witze machen konnte oder mal ein Bier trank. Wir lebten anfangs isoliert und abgeschieden, auf einem Areal hinter Zäunen in einer Erstaufnahmeeinrichtung bei Braunschweig. Die Securities an der Tür behandelten uns wie Verbrecher, obwohl wir einfach aus der Schule kamen, mein Bruder und ich. Ich fühlte mich wie im Gefängnis. Als Mädchen spürte ich auch, dass sie mich auf eine sehr dreckige Art anmachten.
Auch, um andere Menschen bei solchen Erfahrungen zu unterstützen, arbeite ich heute bei einer Beratungsstelle für Geflüchtete und Migrantinnen. An meinem ersten Arbeitstag fragte mich ein Klient, ob ich die neue Putzfrau sei. Andere wollen zu meiner deutschen Kollegin, sie sprechen mir mein Wissen, meine Professionalität ab. Immer wieder kämpfe ich gegen Vorurteile, Hass und Rassismus an. In Braunschweig würde ich heute nicht mal mehr umsteigen wollen.
Protokoll: Andreas Koob