Aktuell Indien 02. Februar 2017

"In schlechtes Licht gerückt"

Indien: "In schlechtes Licht gerückt"

Der indische Rechtsanwalt Henri Tiphagne bei der Verleihung des Amnesty-Menschenrechtspreises am 25. April 2016 in Berlin.

2. Februar 2017 - Erneut versucht die indische Regierung, ihre Kritiker mundtot zu machen. Wer lautstark Menschenrechte einfordert, schade dem "nationalen Interesse". Nun ist auch Amnesty-Menschenrechtspreisträger Henri Tiphagne wieder im Visier der Behörden.

"Unsere Demokratie wird zusammenbrechen, wenn wir es nicht schaffen, die Meinungsfreiheit zu wahren", sagte der indische Premierminister Narendra Modi, kurz nachdem er sein Amt im Mai 2014 angetreten hatte. Indiens Demokratie ist noch nicht zusammengebrochen, doch unter Modis Regierung steht die Meinungsfreiheit unter Beschuss. Menschenrechtsverteidiger landen immer häufiger vor Gericht - wohl auch, weil ihre Arbeit am sauberen Image des Landes kratzt.

Nun ist auch der indische Menschenrechtsanwalt Henri Tiphagne wieder im Visier der Regierung. Tiphagne war im Frühling 2016 nach Berlin gereist: Die deutsche Amnesty-Sektion verlieh ihm im Maxim Gorki Theater ihren Menschenrechtspreis. Fünf Monate später haben die indischen Behörden gegen ihn mobil gemacht: Im Oktober 2016 entzogen sie Tiphagnes Menschenrechtsorganisation die Lizenz, internationale Finanzmittel anzunehmen. Jetzt hat die Regierung den Schritt begründet: Tiphagnes Organisation habe Indien in ein "schlechtes Licht" gerückt.

NGOs kämpfen in Indien ums Überleben - auch finanziell. Die Regierung kreist mit restriktiven Gesetzen den Handlungsspielraum ihrer Kritikerinnen und Kritiker beständig ein. Henri Tiphagne hatte seine Organisation "Zentrum zur Förderung sozialer Belange", auch bekannt unter dem Namen "People's Watch", vor mehr als zwanzig Jahren mit Freunden gegründet. Sie wollten in Indien Menschenrechtsverletzungen dokumentieren - und Verantwortliche vor Gericht bringen, auch wenn sie in Regierungsämtern sitzen."Viele Leute fragten mich damals, wozu brauche man eine weitere Menschenrechtsorganisation, davon gebe es doch genug", erinnert sich Tiphagne. "Doch keine hatte den Mut, gegen den Staat vorzugehen."

Nun hat der Staat wieder zurückgeschlagen, auch verbal: Tiphagnes Organisation habe "ausländischen Kräften geholfen, Indien in ein schlechtes Licht zu rücken", sagte am 18. Januar ein Vertreter des indischen Justizministeriums vor dem Hohen Gericht in Dehli eidesstattlich aus. Henri Tiphgane habe Recherchen zu Menschenrechtsverletzungen in Indien an US-Diplomaten, das Britische Hochkommissariat und UN-Sonderberichterstatter weitergereicht - und damit dem "nationalen Interesse geschadet".

Proteste, Anzeigen, gewalttätige Übergriffe: Auch Amnesty unter Beschuss

"Diese eidesstattliche Erklärung zeigt, dass die Nichtverlängerung der Lizenz eine unverhohlener Vergeltungsakt gegen die Arbeit der Organisation war", sagt Aakar Patel, geschäftsführender Direktor von Amnesty International Indien. "Zu dieser Arbeit gehört auch, die Vereinten Nationen und die internationale Gemeinschaft mit einzubeziehen, um Menschenrechte voranzubringen", so Patel weiter. Auch Aktivistinnen und Aktivisten der indischen Amnesty-Sektion sind bereits ins Visier regierungsfreundlicher Kräfte geraten, es gab hasserfüllte Proteste, Anzeigen, auch gewalttätige Übergriffe.

"People’s Watch und ihr Leiter Henri Tiphagne haben großartige Menschenrechtsarbeit in Indien geleistet", so Aakar Patel. "Sie haben sich seit langem gemeinsam mit anderen Organisationen darum bemüht, etablierte internationale Menschenrechtsstellen miteinzubeziehen, von denen Indien übrigens selbst viele mit ins Leben gerufen hat. Will die indische Regierung als Weltmacht ernstgenommen werden, muss sie Regeln respektieren."

Die indische Sektion von Amnesty befürchtet, dass die Behörden mit dem Angriff auf Henri Tiphagnes Organisation einen gefährlichen Präzedenzfall geschaffen haben könnten. Tiphagnes Organisation ficht den Lizenzverlust vor dem Hohen Gericht juristisch an.

Ein Anwaltskollektiv wehrt sich - mit Erfolg

Zwischen Oktober und Dezember 2016 weigerte sich die Regierung, die Lizenzen zahlreicher NGOs zu erneuern oder erklärte sie ohne Angabe von Gründen für ungültig. Unter ihnen befanden sich die von den Bürgerrechtsaktivisten Teesta Setalvad und Javed Anand geleiteten Organisationen "Citizens for Justice and Peace" und "Sabrang Trust". Die beiden Aktivisten kämpfen für die Opfer der gewalttätigen Ausschreitungen von 2002 in Gujarat.

Das Central Bureau of Investigation klagte am 3. Januar 2017 Teesta Setalvad und Javed Anand an, da einer ihrer Verlage umgerechnet rund 260.000 Euro ohne Zustimmung des Innenministeriums von der Ford-Stiftung bezogen habe. Ein Sprecher der Behörde nannte den Geldtransfer "eine Einmischung in die innere Sicherheit und Angelegenheiten Indiens". Die nächste Anhörung ist für den 3. Februar anberaumt. "Die Anklagen gegen Teesta Setalvad und Javed Anand sind politisch motiviert und scheinen nur dazu zu dienen, sie wegen ihrer Menschenrechtsarbeit zu verfolgen", urteilt Amnesty-Direktor Aakar Patel.

Das Anwaltskollektiv Lawyers' Collective ist eine wetere prominente Menschenrechtsorganisation, deren Lizenz ungültig erklärt wurde. Das Innenministerium ließ im November 2016 ihre Bankkonten einfrieren. Das Anwaltskollektiv klagte dagegen - und hatte Erfolg. Das Hohe Gericht in Bombay ließ am 30. Januar 2017 die Konten entsperren. "Die Zentralregierung darf das Funktionieren und die Aktivitäten von Einzelpersonen oder Vereinen nicht zum Erliegen bringen", hieß es im Urteil.

"Die Regierung beruft sich immer wieder auf das Gesetz über internationale Fördermittel, um gegen NGOs vorzugehen", sagt Aakar Patel. Diese juristische Masche werde nun als das entlarvt, was sie schon immer gewesen sei: "Die Regierung verfolgt den Überbringer der schlimmen Botschaft - statt die Menschenrechtsverbrechen in den Blick zu nehmen."

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