Syrischen Flüchtlingen droht Rückführung

Türkei Landkarte

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Etwa 100 syrischen Flüchtlingen droht die Rückführung in die von Kampfhandlungen erschütterte Stadt Kobane / Ain al-Arab. Sie gehören zu einer Gruppe von mehr als 250 Männern, Frauen und Kindern aus Kobane, die von den türkischen Behörden rechtswidrig inhaftiert wurden. Sie werden seit dem 5. Oktober in einer Sporthalle in der türkischen Grenzstadt Suruç in der südöstlichen Provinz Şanlıurfa festgehalten. Am 14. und 16. Oktober sind bereits zahlreiche der Flüchtlinge nach Kobane zurückgeführt worden.

Appell an

MINISTERPRÄSIDENT
Mr Ahmet Davutoğlu,
Vekaletler Caddesi Başbakanlık Merkez Bina
P.K. 06573 Kızılay / Ankara
TÜRKEI
(Anrede: Dear Prime Minister / Sehr geehrter Herr Ministerpräsident)
Fax: (00 90) 312 422 18 99
E-Mail: ozelkalem@basbakanlik.gov.tr

INNENMINISTER
Mr. Efkan Ala
İçişleri Bakanlığı
Bakanlıklar, Ankara
TÜRKEI
(Anrede: Dear Minister / Sehr geehrter Herr Innenminister)
E-Mail: ozelkalem@icisleri.gov.tr
Fax: (00 90) 312 418 1795

Sende eine Kopie an

GENERALDIREKTION DER MIGRATIONSVERWALTUNG
Atilla Toros
Director General
Lalegül Çamlıca Mahallesi 122
Sokak No:2/3 06370 Yenimahalle
Ankara
TÜRKEI
(Anrede: Dear Director General / Sehr geehrter Herr Generaldirektor)
E-Mail: gocidaresi@goc.gov.tr
Fax: (00 90) 312 397 52 76

BOTSCHAFT DER REPUBLIK TÜRKEI
S.E. Herr Hüseyin Avni Karslioğlu
Tiergartenstr. 19-21
10785 Berlin
Fax: 030 275 909 15 –
E-Mail: botschaft.berlin@mfa.gov.tr

Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Türkisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 28. November 2014 keine Appelle mehr zu verschicken.

Amnesty fordert:

FAXE, E-MAILS ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

  • Entlassen Sie die Flüchtlinge sofort und bedingungslos aus ihrer rechtswidrigen Haft.

  • Stellen Sie sicher, dass niemand von ihnen unter Zwang nach Syrien zurückgeführt wird.

  • Sorgen Sie zudem dafür, dass Flüchtlinge aus Syrien in die Türkei einreisen können und nicht inhaftiert werden, weil sie ihr Recht auf Asyl wahrnehmen.

PLEASE WRITE IMMEDIATELY

  • Release the refugees from their unlawful detention immediately and unconditionally.

  • Ensure that no refugees are forcibly returned to Syria.

  • Ensure that Turkey’s border with Syria is open to refugees and that refugees are not detained for exercising their right to seek asylum.

Sachlage

Laut Angaben eines der Flüchtlinge selbst und laut Informationen, die Amnesty International von Rechtsbeiständen erhalten hat, welche die Flüchtlinge besucht haben, sind am und um den 5. und 6. Oktober mehr als 250 Syrer_innen, darunter bis zu 30 Kinder, in der Türkei inhaftiert worden. Zuvor hatte man ihnen 24 Stunden lang verweigert, am Grenzübergang Mürşitpınar in die Türkei einzureisen. Sie waren vor den gewaltsamen Zusammenstößen zwischen der bewaffneten Gruppe Islamischer Staat (IS) und den kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) in Kobane / Ain al-Arab geflüchtet. Bei den YPG handelt es sich um den bewaffneten Flügel der syrisch-kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD), unter deren Kontrolle Kobane seit Juli 2012 steht.

Die Flüchtlinge werden in einer Sporthalle festgehalten, wo sie lediglich über Decken als Schlafunterlage verfügen und keinerlei Waschgelegenheiten haben. Der Gouverneur der Provinz Şanlıurfa soll am 10. Oktober zu den Rechtsbeiständen gesagt haben, dass sich die Flüchtlinge gemäß Paragraf 57 des Gesetzes über Ausländer und internationalen Schutz unter "behördlicher Überwachung vor der Abschiebung" befinden. Die Flüchtlinge erklärten, dass man sie nicht über die Gründe für ihre Inhaftierung aufgeklärt habe. Rechtsbeistände berichteten Amnesty International, dass die Flüchtlinge getrennt voneinander in Verhören dazu befragt worden seien, ob sie der Verwaltung der PYG angehören. Die Rechtsbeistände gaben zudem an, dass einige Flüchtlinge von Misshandlungen in Gewahrsam gesprochen haben. Sie sollen unter anderem während der Verhöre mit Messern bedroht worden sein.

Am 14. Oktober um etwa zwei Uhr nachts wurde eine Gruppe von 82 Frauen, Männern und Kindern über den Grenzübergang Mürşitpınar nach Syrien zurückgeführt. Sie sollen zuvor angeblich eine Einwilligungserklärung unterzeichnet haben. Ein 15-jähriger Junge, der zu dieser Gruppe gehört hatte, kehrte am nächsten Tag in die Türkei zurück, nachdem er bei einem Bombenangriff, für den der IS verantwortlich gewesen sein soll, schwere Beinverletzungen erlitten hatte.
Anschließend musste ihm in einem Krankenhaus in Suruç ein Bein amputiert werden. Am 16. Oktober wurde eine weitere Gruppe von 40 Flüchtlingen nach Syrien zurückgebracht, nachdem auch sie ihrer Rückführung zugestimmt haben sollen. Die Behörden sollen einem Rechtsbeistand gesagt haben, dass zudem eine unbekannte Anzahl an Frauen und kleinen Kindern in ein nicht näher bezeichnetes Flüchtlingslager in der Türkei gebracht worden sei. Der Rechtsbeistand konnte jedoch nicht feststellen, in welches Flüchtlingslager die Frauen und Kinder gebracht wurden. Von den 250 Personen, die anfänglich in der Sporthalle festgehalten wurden, droht nun 107 die Rückführung nach Syrien.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Flüchtlinge aus Syrien in der Türkei
Derzeit befinden sich etwa 1,4 Millionen syrische Flüchtlinge in der Türkei. Offiziell hat die Türkei die Grenzen für Menschen aus Syrien geöffnet. Personen, die keinen Pass vorlegen können, wird die Einreise in die Türkei an offiziellen Grenzübergängen jedoch regelmäßig verwehrt, sofern sie nicht dringend medizinische oder humanitäre Hilfe benötigen. Selbst für Flüchtlinge, die sich ausweisen können, ist die Einreise in die Türkei an offiziellen Grenzübergängen zum Teil nicht möglich. Einige Grenzübergänge sind seit der Eskalation der Gewalt in Syrien gänzlich geschlossen worden. Die Türkei hat 22 gut ausgestattete Flüchtlingslager errichtet, in denen mehr als 220.000 syrische Flüchtlinge untergebracht sind und mit Nahrung und dem Lebensnotwendigen versorgt werden. Die Lager sind jedoch bereits voll ausgelastet, sodass sich die überwiegende Mehrzahl der syrischen Flüchtlinge außerhalb der Lager befindet und auf sich allein gestellt ist. Ohne Maßnahmen zur Sicherstellung ihres Lebensunterhalts oder die Vergabe von Arbeitsgenehmigungen müssen zahlreiche Syrer_innen ums Überleben kämpfen.

Das Recht auf Asyl
Das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu beantragen und zu genießen, ist ein grundlegendes Menschenrecht, das in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte festgeschrieben ist und durch das Abkommen von 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention) geschützt wird. Die Türkei hat die Genfer Flüchtlingskonvention ratifiziert. Amnesty International betrachtet alle Menschen, die aus Syrien fliehen, als Flüchtlinge "prima facie". Bei massiven Fluchtbewegungen aus Krisenregionen wird aus Kapazitätsgründen und da die Fluchtgründe evident sind, oft kein individuelles Asylverfahren durchgeführt. Die Betroffenen werden als Flüchtlinge "prima facie" bezeichnet.

Refoulement-Verbot
Der Grundpfeiler des internationalen Flüchtlingsschutzes ist das Prinzip des Non-Refoulement. Dieses Prinzip verbietet es, Flüchtlinge in irgendeiner Weise in Gebiete zurückzuweisen, in denen ihnen schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen drohen – wie es bei Menschen aus Syrien der Fall ist. Das Non-Refoulement-Prinzip ist in der Genfer Flüchtlingskonvention und in zahlreichen weiteren Menschenrechtsinstrumenten verankert, zu deren Einhaltung die Türkei verpflichtet ist. Verstöße gegen dieses Prinzip können auf verschiedene Weise erfolgen. Einen direkten Verstoß stellt beispielsweise eine Abschiebung in das Herkunftsland dar. Ein indirekter Verstoß liegt vor, wenn Flüchtlingen z. B. der Zugang zu einem Gebiet oder zu einem fairen und zufriedenstellenden Asylverfahren verwehrt wird. Auch das Ausüben von Druck auf Flüchtlinge, um diese zu einer Rückkehr in ein Gebiet zu zwingen, in dem ihr Leben oder ihre Freiheiten gefährdet sind, stellt einen indirekten Verstoß gegen das Refoulement-Verbot dar. Dieses Vorgehen ist als faktisches Refoulement bekannt und gemäß Völkerrecht verboten, welches bindend für die Türkei ist.

Verbot willkürlicher Inhaftierung
Willkürliche Inhaftierungen sind gemäß Völkerrecht verboten. Dieses Verbot ist in Artikel 9 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) festgeschrieben, zu dessen Vertragsstaaten die Türkei gehört. Der Begriff "willkürlich" ist hierbei im weitesten Sinne zu verstehen und umfasst auch Aspekte wie Unangemessenheit, Ungerechtigkeit, fehlende Vorhersehbarkeit und fehlendes ordentliches Verfahren sowie Zumutbarkeit, Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit. Darüber hinaus berechtigt das Prinzip habeas corpus, wie es beispielsweise in Artikel 9 (4) des IPbpR enthalten ist, jeden, dem seine Freiheit entzogen ist, ein Verfahren vor einem Gericht zu beantragen. Das Gericht muss unverzüglich über die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung entscheiden und die Freilassung anordnen kann, falls die Freiheitsentziehung nicht rechtmäßig ist.