Hunderte NGOs geschlossen

Leben in Ruinen. Kurdischer Junge in Sur, dem Altstadtviertel von Diyarbakır im Südosten der Türkei

Leben in Ruinen. Kurdischer Junge in Sur, dem Altstadtviertel von Diyarbakır im Südosten der Türkei

375 eingetragene Vereine und NGOs sind infolge des am 22. November ergangenen Regierungserlasses Nr. 677 nun auf Dauer geschlossen und ihre Vermögenswerte beschlagnahmt worden. NGOs, die am 11. November für drei Monate ihre Arbeit einstellen mussten, zählen zu den jetzt geschlossenen Organisationen. Die Schließungen entbehren selbst unter den herrschenden Notstandsgesetzen jeglicher rechtlichen Grundlage.

Appell an

INNENMINISTER
Mr Süleyman Soylu
İçişleri Bakanlığı
Bakanlıklar, Ankara, TÜRKEI
(Anrede: Dear Minister / Sehr geehrter Herr Minister)
Fax: (00 90) 312 418 17 95
Fax: (00 90) 312 425 85 09

MINISTERPRÄSIDENT
Mr Binali Yıldırım
Vekaletler Caddesi
Başbakanlık Merkez Bina
P.K. 06573,
Kızılay / Ankara, TÜRKEI
(Anrede: Dear Prime Minister / Sehr geehrter Herr Ministerpräsident)
Fax: (00 90) 312 403 62 82

Sende eine Kopie an

PARLAMENTARISCHER AUSSCHUSS FÜR MENSCHENRECHTE
Mustafa Yeneroğlu
Commission Chairperson
TBMM İnsan Hakları İnceleme Komisyonu
Bakanlıklar, 06543 Ankara, TÜRKEI
Fax: (00 90) 312 420 24 92
E-Mail: insanhaklarikom@tbmm.gov.tr

BOTSCHAFT DER REPUBLIK TÜRKEI
S. E. Herrn Ali Kemal Aydın
Tiergartenstr. 19-21, 10785 Berlin
Fax: 030-275 90 915
E-Mail: botschaft.berlin@mfa.gov.tr

Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Türkisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 4. Januar 2017 keine Appelle mehr zu verschicken.

Amnesty fordert:

E-MAILS, FAXE ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

  • Ich fordere Sie höflich und nachdrücklich auf, den Regierungserlass Nr. 677 aufzuheben und die Entscheidung umgehend rückgängig zu machen, 375 eingetragene Vereine und NGOs zu schließen und ihre Vermögenswerte zu beschlagnahmen.

  • Bitte unterlassen Sie weitere vorübergehende oder endgültige Schließungen von Vereinen und NGOs und stellen Sie sicher, dass wirksame Rechtsmittel eingelegt werden können, um die Rechtmäßigkeit der erfolgten Schließungen unter den Notstandsgesetzen anzufechten.

  • Ich bitte Sie mit Nachdruck, die massiven Angriffe gegen die Rechte auf Meinungs- und Vereinigungsfreiheit einzustellen.

PLEASE WRITE IMMEDIATELY

  • Calling on the authorities to revoke executive decree No. 677 and immediately reverse the decision to close and seize the assets of the 375 registered associations and NGOs.

  • Urging them to halt any further suspension or closure of associations and NGOs, and ensure effective remedies are provided to challenge the legality of derogating measures under the state of emergency.
  • Urging them to stop the crackdown on the right to freedom of expression and association.

Sachlage

Am 22. November wurden 375 eingetragene Vereine und NGOs auf Grundlage des Regierungserlasses Nr. 677 dauerhaft geschlossen. In Paragraf 3 des Regierungserlasses heißt es: "Die genannten Vereine mit Verbindungen zu Terrororganisationen oder Vereine, die laut dem Nationalen Sicherheitsrat zu Strukturen, Formationen oder Gruppen zählen, mit ihnen inhaltlich übereinstimmen oder zu ihnen Verbindungen unterhalten, welche die nationale Sicherheit gefährden, sind ab sofort geschlossen. Alle Vermögenswerte sind ohne Abzüge und ohne Einschränkungen an das Finanzministerium übergegangen, einschließlich der Grundbucheintragungen für Geschäftsräume". Der Erlass enthält die Liste aller dauerhaft geschlossenen NGOs, darunter zahlreiche nationale und lokale Menschenrechtsorganisationen, Frauenrechtsorganisationen, lokale Kulturvereine, Vereine, die Menschen in Armut unterstützen, studentische Organisationen, Unternehmerverbände und sogar Sportvereine.

Zu den betroffenen NGOs zählen viele, die ihre Arbeit bereits per Regierungserlass vom 11. November vorübergehend einstellen mussten, darunter der Fortschrittliche Anwaltsverein (Çağdaş Hukukçular Derneği – ÇHD) und der Verein Anwälte für den Frieden (Özgürlükçü Hukukçular Derneği – ÖHD), der Betroffene von Folter und anderen Misshandlungen vertritt; der mesopotamische Anwaltsverein Mesopotamia Lawyers Association (MHD), der Gemeinschaften vertritt, die im Südosten der Türkei von Ausgangssperren betroffen sind; der Frauenverein VAKAD (Van Kadin Derneği), der Frauen betreut, die Schutz vor häuslicher Gewalt suchen, sowie die Kinderrechtsorganisation Agenda: Kind (Gündem Çocuk). Eine weitere betroffene Organisation ist der Verein Sarmaşık. Der Verein unterstützt 32.000 Menschen in Diyarbakır im Südosten der Türkei mit Nahrungsmitteln und Bildungsangeboten, darunter auch Menschen, die von der türkischen Regierung innerhalb des Landes vertrieben wurden. Die vorübergehenden und jetzt dauerhaften Schließungen sind weder im Einzelnen begründet worden, noch können Rechtsmittel gegen sie eingelegt werden.

Diese flächendeckenden vorübergehenden Verbote und dauerhaften Schließungen von NGOs sind unverhältnismäßig und können auch nicht durch die Notstandsgesetze gerechtfertigt werden. Sie verstoßen gegen die Rechte auf freie Meinungsäußerung und Vereinigungsfreiheit, die durch den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, deren Vertragsstaat die Türkei ist, verbrieft sind.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Regierungserlass Nr. 677 ist in dem Amtsblatt vom 22. November veröffentlicht und enthält die vollständige Liste der in 62 türkischen Provinzen und Städten ansässigen geschlossenen NGOs und Vereine. Der Regierungserlass verfügt zudem die Wiedereröffnung von 175 der 1.125 Vereine und NGOs, die mittels des Regierungserlasses Nr. 667, dem ersten unter den Notstandsgesetzen, geschlossen worden waren.

Die Türkei ist gemäß Artikel 19 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) und Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verpflichtet, das Recht auf freie Meinungsäußerung zu garantieren. Dazu gehört auch das Recht, Informationen und Ideen aller Art recherchieren, erhalten und weitergeben zu dürfen. Darüber hinaus ist die Türkei unter Artikel 22 des IPbpR und unter Artikel 11 der EMRK dazu verpflichtet, das Recht auf Vereinigungsfreiheit zu garantieren. Die einzig zulässigen Einschränkungen dieses Rechts sind solche, die nachweisbar notwendig sind, um die nationale Sicherheit, die Wahrung der öffentlichen Ordnung und Gesundheit oder Moral und den Schutz der Rechte anderer zu gewährleisten. Zudem müssen solche Einschränkungen stets verhältnismäßig sein. Darüber hinaus müssen die Behörden jede Art von Kriegspropaganda und jede Befürwortung von Hass, die Volksverhetzung gleichkommt, untersagen.

Die Rechte auf freie Meinungsäußerung und Vereinigung dürfen zwar in Ausnahmefällen vorübergehend eingeschränkt werden, der Menschenrechtsausschuss hat jedoch festgelegt, dass alle Derogationsmaßnahmen im Zuge eines Ausnahmezustands strikt auf das für den konkreten Fall notwendige Maß beschränkt bleiben müssen. Diese völkerrechtliche Verpflichtung entspricht dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit, das bei der Anwendung von Ausnahmefällen und Einschränkungen üblich ist. Konkrete Maßnahmen in Ausnahmefällen müssen ebenfalls nachweislich den Erfordernissen der Situation entsprechen.