Familie von Menschenrechtler in Gefahr

Diese Urgent Action ist beendet.

Amnesty International wird sich mit anderen Aktionsformen weiter für Emir-Usein Kuku einsetzen und falls notwendig zu weiteren Aktionen aufrufen.

Um den Menschenrechtsverteidiger und ethnischen Krimtataren Emir-Usein Kuku einzuschüchtern, wird seine Familie bedroht und schikaniert. Nach der Festnahme von Emir-Usein Kuku wurde sein Sohn von einem Mann bedroht, der angab, für den russischen Geheimdienst zu arbeiten. Die De-Facto-Behörden der Krim haben Emir-Usein Kuku vorgeworfen, er könne seinen Sohn nicht beschützen. Sie leiteten eine Untersuchung ein, die dazu führen könnte, dass er das Sorgerecht verliert

Appell an

(Da Briefe an Personen auf der Krim zurzeit nicht immer zugestellt werden, möchten wir Sie bitten, ausschließlich Faxe und E-Mails an die angegebenen Adressen zu senden.)

AMTIERENDER STAATSANWALT DER KRIM
Andrei Fomin
(Anrede: Dear Prosecutor / Sehr geehrter Herr Staatsanwalt)
Fax: (00 7) 365 255 03 10
E-Mail: sekretar@rkproc.ru

LEITER DES INLANDSGEHEIMDIENSTES FSB FÜR DIE KRIM
Viktor Palagin
(Anrede: Dear Lieutenant General / Sehr geehrter Generalleutnant)
Fax: (00 7) 365 225 60 31
E-Mail: fsb@fsb.ru

Sende eine Kopie an

MENSCHENRECHTSBEAUFTRAGTE DER KRIM
Lyudmila Lyubina

E-Mail: upchvrk@mail.ru

BOTSCHAFT DER RUSSICHEN FÖDERATION
S. E. Herrn Vladimir M. Grinin
Unter den Linden 63-65
10117 Berlin
Fax: 030-2299 397
E-Mail: info@russische-botschaft.de

Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Ukrainisch, Russisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 30. November 2016 keine Appelle mehr zu verschicken.

Amnesty fordert:

LUFTPOSTBRIEFE, FAXE ODER E-MAILS MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

  • Leiten Sie bitte unverzüglich eine unparteiische und effektive Untersuchung der Drohungen und Schikanen gegen Bekir Kuku und seine Familie ein.

  • Stellen Sie bitte sicher, dass die örtliche Polizei nicht missbräuchlich dazu eingesetzt wird, Emir-Usein Kuku ins Visier zu nehmen. Ich bitte Sie außerdem, dafür zu sorgen, dass die Drangsalierung von Mitgliedern der Familie Kuku durch die De-Facto-Behörden, einschließlich des FSB, der Polizei sowie der Ermittlungsbehörde sofort aufhört.

  • Beenden Sie bitte die strafrechtliche Verfolgung von Emir-Usein Kuku wegen unbegründeter Anklagen und lassen Sie ihn sofort und bedingungslos frei.

PLEASE WRITE IMMEDIATELY

  • Urging them to carry out a prompt, impartial and effective investigation into the threats and harassment against Bekir Kuku and his family.

  • Ensuring that the local police service is not misused to target Emir-Usein Kuku and demanding that harassment of the Kuku family by members of the de facto authorities, including the FSB, police and the Investigative Committee immediately stops.

  • Calling for the criminal prosecution of Emir-Usein Kuku under unfounded charges to end, and for him to be immediately and unconditionally released.

Sachlage

Emir-Usein Kuku ist ein Menschenrechtsverteidiger und bekanntes Mitglied der krimtatarischen Gemeinde in der Region Jalta im Süden der Krim. Nachdem die Krim im Jahr 2014 von Russland besetzt worden war, schloss er sich der Menschenrechtsorganisation Crimean Human Rights Contact Group an. Der russische Geheimdienst (FSB) versuchte mehrmals, ihn als Informanten zu gewinnen. Nachdem Emir-Usein Kuku abgelehnt hatte, durchsuchte der FSB zweimal sein Haus. Im Februar 2016 wurde er wegen des unbegründeten Vorwurfs festgenommen, ein Mitglied der islamistischen Bewegung Hizb ut-Tahrir zu sein, die in Russland als "extremistisch" verboten ist, in der Ukraine jedoch nicht. Emir-Usein Kuku weist jeglichen Kontakt mit dieser Bewegung von sich. Zurzeit befindet er sich in Untersuchungshaft.

Kurz nach der Festnahme von Emir-Usein Kuku wurde er in der Haft von einem Beamten des FSB besucht, der ihn erneut anwerben wollte. Nachdem Emir-Usein Kuku abgelehnt hatte, wurde seine Familie weiteren Schikanen ausgesetzt. Am 2. März, und bei mindestens einer weiteren Gelegenheit, näherte sich ein Mann Bekir Kuku, dem neunjährigen Sohn von Emir-Usein Kuku. Der Vorfall ereignete sich in der Schule des Jungen, als keine Erwachsenen anwesend waren. Der Mann erklärte Bekir Kuku, dass er für den FSB arbeiten und Emir-Usein Kuku "im Gefängnis verrotten" würde, da er nicht mit ihnen zusammenarbeite. Am 3. März meldete Meriem Kuku, die Ehefrau von Emir-Usein Kuku und Mutter von Bekir Kuku, den Vorfall der örtlichen Polizei. Ihre Anzeige wurde aufgenommen, sie erhielt jedoch keine Informationen über den Fortschritt der Untersuchung.

Stattdessen informierte ein örtlicher Polizeiangehöriger für Fälle im Bereich des Jugendstrafrechts Meriem Kuku darüber, dass die Ermittlungsbehörde, die für die Untersuchung schwerer Straftaten zuständig ist, eine Untersuchung gegen Emir-Usein Kuku eingeleitet habe, da dieser seinen Sohn nicht vor fremden Personen beschützt habe. Meriem Kuku befürchtet, dass dies zu einem Strafverfahren gegen die Familie führen könnte und die De-Facto-Behörden das Sorgerecht für ihren Sohn beantragen könnten. Ihre Sorge verstärkte sich, als der Polizeiangehörige für Fälle im Bereich des Jugendstrafrechts mehrmals versuchte, Bekir Kuku in der Schule ohne die Anwesenheit von Erwachsenen zu befragen.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Vor der Besetzung und Annexion der Krim durch Russland im Jahr 2014 arbeitete Emir-Usein Kuku in der lokalen Verwaltung der Küstenstädte Haspra und Jalta. Nach der Annexion wurden mehrere ethnischen Krimtatar_innen und pro-ukrainische Aktivist_innen "vermisst". Es kamen deutliche Beweise dafür auf, dass sie Opfer des Verschwindenlassens durch pro-russische paramilitärische Gruppen oder die De-Facto-Behörden geworden sind. Emir-Usein Kuku kündigte seinen Job und schloss sich der Menschenrechtsorganisation Crimean Human Rights Contact Group an. Diese Initiative wurde von Verwandten "verschwundener" Personen gegründet und hat zum Ziel, dass effektive Untersuchungen zu den Fällen durchgeführt werden. Emir-Usein Kuku wurde vom russischen Geheimdienst mehrmals schikaniert und hat Versuche des FSB, ihn als Informanten zu rekrutieren, offengelegt. Sein Haus ist wiederholt von Angehörigen des Geheimdienstes durchsucht worden.

Am 20. April 2015 gegen 8:30 Uhr, als Emir-Usein Kuku seine Wohnung verließ, um zur Arbeit zu gehen, näherten sich ihm zwei unbekannte Männer von hinten. Sie warfen ihn zu Boden und traten und schlugen ihm mehrmals gegen den Kopf, den Oberkörper und in die Nierengegend. Anschließend zwangen die Männer Emir-Usein Kuku vor den Augen zahlreicher Zeug_innen, in einen Kleinbus einzusteigen, und fuhren davon. Etwa eine Stunde später kamen zwei Kleinbusse mit mehreren Dutzend bewaffneten Männern, die Gesichtsmasken trugen und Emir Usein-Kuku bei sich hatten, am Haus seiner Familie an. Einer der Männer wies sich als Beamter des FSB aus und legte einen Durchsuchungsbeschluss vor. Die Männer beschlagnahmten elektronische Geräte, wie Tablet-Computer und Mobiltelefone, sowie mehrere Bücher zu religiösen Themen. Nach der Durchsuchung wurde Emir-Usein Kuku in das Büro des FSB in Jalta gebracht und dort befragt. Er wurde aufgefordert, als Informant für den Geheimdienst zu arbeiten. Später am selben Tag ließ man ihn wieder frei. Emir-Usein Kuku suchte einen Arzt auf, um seine Verletzungen dokumentieren zu lassen. Am nächsten Tag ging er zur örtlichen Polizei, um wegen seiner erlittenen Schläge Anzeige zu erstatten. Am 1. Mai wurde er von der Polizei darüber informiert, dass diese seiner Anzeige nicht nachgehen würden, da "keine Anzeichen für eine Straftat" vorliegen würden. Im August 2015 wurde Emir-Usein Kuku von der Untersuchungsbehörde in Jalta vorgeladen und darüber informiert, dass der FSB eine Gegenklage eingereicht hat, weil er zwei Beamt_innen angegriffen habe.

Am 11. Februar, gegen 6:30 Uhr durchsuchte der FSB das Haus der Familie Kuku erneut. Nach einer etwa vierstündigen Durchsuchung beschlagnahmten die Beamt_innen weitere elektronische Geräte und Bücher zu religiösen Themen. Emir-Usein Kuku wurde für "weitere Befragungen" mitgenommen und beschuldigt, der Hizb ut-Tahrir anzugehören.

Am 12. Februar stimmte das Bezirksgericht von Kyivskyi in Simferopol seiner Untersuchungshaft zu. Bei einer Verurteilung drohen ihm bis zu 20 Jahre Haft.
Emir-Usein Kuku weist den Vorwurf, der Hizb ut-Tahrir anzugehören, von sich. Ungeachtet dessen, ist die Zugehörigkeit zur Hizb ut-Tahrir zwar eine Straftat in Russland, jedoch nicht in der Ukraine. Russland ist als Besatzungsmacht auf der Krim gemäß humanitärem Völkerrecht dazu verpflichtet, alle auf der Halbinsel Angeklagten nach ukrainischem Recht vor zivile Gerichte zu stellen. Die strafrechtliche Verfolgung und Festnahme von Emir-Usein Kuku wegen der Mitgliedschaft in einer extremistischen Organisation sind unbegründet und scheinen eine Vergeltungsmaßnahme für seine Menschenrechtsarbeit und seine Weigerung, mit den De-Facto-Behörden zu kooperieren, zu sein.

Seit der Annexion durch Russland im März 2014 hat Amnesty International ein zunehmend hartes Durchgreifen gegen die Menschenrechte auf der Krim dokumentiert. Weitere Informationen finden Sie auf Englisch unter: https://www.amnesty.org/en/documents/eur50/1129/2015/en/. Die Gemeinschaft der ethnischen Krimtatar_innen ist von den neuen Einschränkungen in Bezug auf die Ausübung der Rechte auf Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit besonders stark betroffen. Viele Angehörige der Gemeinschaft lehnen die Annexion offen ab. Zudem sind mehrere Krimtatar_innen sowie weitere pro-ukrainische Aktivist_innen Opfer des Verschwindenlassens geworden. Am 24. Mai 2016 "verschwand" Ervin Ibragimov, ein Aktivist und Krimtatar, in der Nähe seines Hauses (siehe UA-130/2016, unter: http://www.amnesty.de/urgent-action/ua-130-2016/verschwindenlassen-auf-der-krim).

Filmaufnahmen einer Kamera zeigen, wie Ervin Ibragimov von einer Gruppe von Männern in einen Lieferwagen gezwungen und weggebracht wurde. Weder dieser noch andere Fälle des Verschwindenlassens sind bisher wirksam untersucht worden. Eines der Opfer, Reshat Ametov, wurde von der pro-russischen paramilitärischen "Selbstverteidigungsgruppe" gewaltsam abgeführt, als er am 3. März 2014 vor dem Ministerrat der Krim einen Einzelprotest abhielt. Am 15. März wurde seine Leiche, die Spuren von Folter und anderweitigen Misshandlungen aufwies, gefunden. Ein Video, welches seine Entführung zeigt, ist im Internet frei zugänglich. Darauf sind die Entführer_innen deutlich zu erkennen. Dennoch wurden die Täter_innen bisher nicht identifiziert und die Straftat bleibt unaufgeklärt. Der Verbleib anderer Opfer des Verschwindenlassens auf der Krim ist weiterhin unbekannt. Zudem wurden mehrere Todesfälle von Krimtatar_innen bekannt, die ebenfalls Opfer von Entführungen gewesen sein könnten. Die Umstände dieser Todesfälle, die als Suizide oder tödliche Unfälle verzeichnet wurden, sind nie eingehend untersucht worden.