Frauenrechtlerin im Hungerstreik

Evin-Gefängnis, Teheran

Evin-Gefängnis, Teheran

Ghoncheh Ghavami ist am 1. Oktober in den Hungerstreik getreten, um gegen ihre willkürliche Inhaftierung und den mangelnden Zugang zu ihrem Rechtsbeistand zu protestieren. Sie ist eine gewaltlose politische Gefangene.

Appell an

RELIGIONSFÜHRER
Ayatollah Sayed 'Ali Khamenei
The Office of the Supreme Leader
Islamic Republic Street – End of Shahid Keshvar Doust Street
Tehran
IRAN
(Anrede: Your Excellency / Exzellenz)
Twitter: @khamenei_ir
E-Mail: info_leader@leader.ir

OBERSTE JUSTIZAUTORITÄT
Ayatollah Sadegh Larijani
c/o Public Relations Office, Number 4
2 Azizi Street intersection
Tehran
IRAN
(Anrede: Your Excellency / Exzellenz)

Sende eine Kopie an

PRÄSIDENT
Hassan Rouhani
The Presidency
Pasteur Street
Pasteur Square
Tehran
IRAN
Twitter: @HassanRouhani (Englisch)
@Rouhani_ir (Persisch)

BOTSCHAFT DER ISLAMISCHEN REPUBLIK IRAN
S. E. Herrn Seyed Mohammad Eman, Botschaftsrat
Podbielskiallee 65-67
14195 Berlin
Fax: 030-8435 3535
E-Mail: info@iranbotschaft.de

Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Persisch, Englisch, Französisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 19. November 2014 keine Appelle mehr zu verschicken.

Amnesty fordert:

E-MAILS, LUFTPOSTBRIEFE ODER TWITTERNACHRICHTEN MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

  • Bitte lassen Sie alle Anklagen gegen Ghoncheh Ghavami fallen und lassen Sie sie umgehend und bedingungslos frei, da sie nur aufgrund der friedlichen Wahrnehmung ihrer Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit festgehalten wird.

  • Gewähren Sie Ghoncheh Ghavami bitte regelmäßigen Zugang zu ihrer Familie und ihrem Rechtsbeistand.

  • Stellen Sie bitte sicher, dass Ghoncheh Ghavami vor Folter und anderer Misshandlung geschützt wird und jede nötige medizinische Behandlung erhält.

PLEASE WRITE IMMEDIATELY

  • Calling on the Iranian authorities to drop the charges against Ghoncheh Ghavami and to release her immediately and unconditionally, as she has been held solely for the peaceful exercise of her rights to freedom of expression, association and assembly.

  • Urging them to allow her regular visits from her family and her lawyer.

  • Urging them to ensure that she is protected from torture and other ill-treatment and receives any medical care she may require.

Sachlage

Die 25-jährige Ghoncheh Ghavami, die die iranische und britische Staatsbürgerschaft besitzt, ist am 1. Oktober in den Hungerstreik getreten. Sie protestiert damit gegen ihre willkürliche Inhaftierung in Trakt 2A des Teheraner Evin-Gefängnisses, den mangelnden Zugang zu ihrem Rechtsbeistand und die Tatsache, dass sie nicht die Möglichkeit hat, gegen Kaution freizukommen. Am 4. Oktober durfte sie zum ersten Mal seit dem 16. September wieder Besuch von Familienangehörigen erhalten. Nach dem Besuch sagte ihre Mutter, dass Ghoncheh Ghavami sehr niedergeschlagen und deutlich abgemagert gewirkt habe. Laut Ghoncheh Ghavami sei am 1. Oktober ein ihr unbekannter Mann in ihre Zelle gekommen, habe sich als Anwalt vorgestellt und sie aufgefordert, ihren derzeitigen Rechtsbeistand durch ihn zu ersetzen. Als sie dies ablehnte, habe der Mann sie gewarnt, dass neue Anklagen gegen sie erhoben würden. Man geht davon aus, dass der Mann mit dem iranischen Geheimdienst in Verbindung steht. Ghoncheh Ghavami hat zudem angegeben, dass ihr in einigen Verhören vorgeworfen wurde, versucht zu haben, das "Ansehen" des Staates zu "besudeln", indem sie am 20. Juni eine friedliche Demonstration vor dem Teheraner Azadi-Stadion organisiert hatte, um dagegen zu protestieren, dass Frauen nicht in Sportstadien dürfen.

Die Familie von Ghoncheh Ghavami wurde am 20. September darüber informiert, dass die Staatsanwaltschaft in Teheran den Fall an das Revolutionsgericht übergeben hat und Ghoncheh Ghavami wegen "Verbreitung von Propaganda gegen das System" angeklagt ist. Amnesty International ist der Ansicht, dass die Anklage keine international anerkannte Straftat darstellt und sie lediglich wegen ihrer friedlichen Aktivitäten gegen die Diskriminierung von Frauen festgehalten wird.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Im Iran ist es Frauen seit der Gründung der Islamischen Republik Iran im Jahr 1979 verboten, sich Fußballspiele im Stadion anzusehen. 2012 wurde dieses Verbot auf Volleyballspiele ausgeweitet. Laut den iranischen Behörden ist es nicht im öffentlichen Interesse, wenn sich Männer und Frauen gemeinsam in Stadien aufhalten. Das diskriminierende Zuschauerverbot sei im eigenen Interesse iranischer Frauen, um sie vor dem lüsternen Verhalten der männlichen Fans zu schützen.

Der Rechtsbeistand von Ghoncheh Ghavami durfte sie seit ihrer Festnahme am 30. Juni nicht im Gefängnis besuchen und hat auch bisher keine Einsicht in ihre Gerichtsakte erhalten. Am 16. September wurde zudem ihrer Familie mitgeteilt, dass sie Ghoncheh Ghavami nicht mehr jede Woche besuchen könne. Dies könnte möglicherweise mit Interviews zusammenhängen, die die Familie ausländischen Medien gegeben hat. Am 4. Oktober durften Familienangehörige sie besuchen, nachdem der zuständige Richter ihnen die Besuchserlaubnis erteilt hatte.

Ghoncheh Ghavami wurde am 30. Juni in Teheran in der Hafteinrichtung Vozara festgenommen. Sie war dort erschienen, um ihr Mobiltelefon abzuholen, welches ihr am 20. Juni abgenommen worden war. An diesem Tag war sie festgenommen und mehrere Stunden lang in der Hafteinrichtung festgehalten worden, weil sie an einer Demonstration teilgenommen hatte, um gegen das Verbot der Anwesenheit von Frauen in Stadien zu protestieren. Nach ihrer Festnahme am 30. Juni wurde Ghoncheh Ghavami von Sicherheitskräften in Zivil zu ihrer Wohnung begleitet, wo diese ihren Laptop und einige Bücher beschlagnahmten. Daraufhin brachte man sie in den Trakt 2A des Evin-Gefängnisses, wo sie 41 Tage lang in Einzelhaft und ohne Zugang zu ihrem Rechtsbeistand und ihrer Familie festgehalten wurde. Mittlerweile hat man sie in eine Sammelzelle verlegt. Laut Ghoncheh Ghavami wurde sie während der Einzelhaft bei den Verhören psychisch unter Druck gesetzt, indem man ihr drohte, sie in das Gharchak-Gefängnis von Varāmīn in der Provinz Teheran zu verlegen. Dort werden Häftlinge, die wegen schwerer Straftaten verurteilt wurden, unter trostlosen Bedingungen festgehalten. Zudem soll man ihr gedroht haben, sie würde "nicht lebendig aus dem Gefängnis herauskommen".

Laut Artikel 9 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR), zu dessen Vertragsstaaten der Iran gehört, darf niemand willkürlich festgenommen oder in Haft gehalten werden. Die Inhaftierung gilt als willkürlich, wenn einer Person die Freiheit entzogen wird, weil sie im IPbpR garantierte Rechte wahrgenommen hat. Eine Inhaftierung kann außerdem als willkürlich betrachtet werden, wenn die Rechte des Gefangenen auf ein faires Verfahren verletzt wurden. Dazu gehören die Rechte, vor dem Gerichtsverfahren einen Rechtsbeistand konsultieren zu dürfen, unverzüglich einem Gericht vorgeführt zu werden, die Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit der Inhaftierung anzufechten und ausreichend Zeit und Mittel zu haben, um die Verteidigung vorzubereiten. Die Standards der Fairness sehen außerdem vor, dass Gefangene bis zur Eröffnung des Gerichtsverfahrens aus der Haft entlassen werden. Zudem steht ihnen eine Entschädigung zu, wenn sie rechtswidrig in Haft gehalten wurden.

Paragraf 48 der neuen iranischen Strafprozessordnung, die im April 2014 in Kraft trat, sieht vor, dass "eine angeklagte Person zu Beginn der Inhaftierung das Recht auf einen Rechtsbeistand hat". In der Anmerkung zu dem Paragrafen wird jedoch erwähnt, dass wenn die angeklagte Person wegen des Verdachts auf bestimmte Straftaten festgenommen wurde, darunter organisiertes Verbrechen, Verbrechen gegen die nationale Sicherheit, Diebstahl und Drogendelikte, es der Person bis zu einer Woche nach der Festnahme verwehrt werden kann, einen Rechtsbeistand zu konsultieren.

Laut dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, zu dessen Vertragsstaaten der Iran gehört, müssen die Behörden sicherstellen, dass jeder festgenommenen Person die Gründe der Festnahme schon bei der Festnahme unverzüglich mitgeteilt werden, und dass die Person über ihre Rechte aufgeklärt wird, so z. B. über das Recht auf einen Rechtsbeistand. Festgenommene sollten unverzüglich Zugang zu einem Rechtsbeistand erhalten, so auch während des Verhörs. Sie sollten unverzüglich einem Richter vorgeführt werden, damit dieser über die Rechtmäßigkeit der Festnahme bzw. Inhaftierung urteilt und entscheidet, ob die betroffene Person bis zum Gerichtsverfahren freigelassen werden soll. Eine Freilassung bis zum Gerichtsverfahren sollte der Normalfall sein, und Häftlinge haben das Recht auf Entschädigung, wenn sie rechtswidrig festgehalten wurden.

Der UN-Menschenrechtsausschuss, der die Einhaltung des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) durch die Vertragsstaaten überwacht, stellt klar, dass sich das völkerrechtliche Verbot von Folter und anderer grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung nicht nur auf Handlungsweisen bezieht, die körperliche Schmerzen verursachen, sondern auch auf Maßnahmen, die seelisches Leid hervorrufen. Der Ausschuss betont zudem ausdrücklich, dass Einzelhaft über lange Zeit hinweg Maßnahmen gleichkommen könnte, die unter Artikel 7 des IPbpR verboten sind (Allgemeine Bemerkung Nr. 20, Absätze 5 und 6). Der Iran ist Vertragsstaat des IPbpR.