Pressemitteilung 25. Februar 2009

Afghanistan: Internationale Truppen stehen nicht über dem Gesetz

2008 Zahl ziviler Opfer bei Kampfhandlungen erschreckend hoch / De-Facto-Straflosigkeit muss aufhören

BERLIN, 25.02.2009 - Angesichts der geplanten Verlegung zusätzlicher internationaler Truppen nach Afghanistan hat Amnesty International eine verstärkte juristische Aufarbeitung der Fälle ziviler Opfer bei Kampfhandlungen gefordert. "Die USA und ihre Verbündeten müssen sicherstellen, dass ihre Truppen die Sicherheit der Afghanen erhöhen, statt sie immer größeren Risiken auszusetzen", sagte die Afghanistan-Expertin von Amnesty International, Verena Harpe. "Alle in Afghanistan eingesetzten Truppen müssen mehr tun, um zivile Opfer zu vermeiden. Die de-facto-Straflosigkeit für die Tötung unbewaffneter Zivilisten muss ein Ende haben. Wir brauchen koordinierte und transparente Mechanismen zur Aufklärung der Fälle und für Entschädigungen, damit die Opfer und ihre Angehörigen zu ihrem Recht kommen," sagte Harpe.

2008 war die Zahl ziviler Opfer durch Operationen der internationalen und afghanischen Streitkräfte höher als je zuvor seit dem Sturz der Taliban Ende 2001. Angaben der Vereinten Nationen zufolge starben 2008 dabei 795 Zivilisten, das sind 40 Prozent aller zivilen Opfer bei Kampfhandlungen und 236 mehr als im Jahr 2007.

Ein heute vorgestellter Amnesty-Bericht schildert die Umstände der Tötung der Brüder Abdul Habib und Mohammed Ali in Kandahar bei einer nächtlichen Hausdurchsuchung durch internationale Truppen im Januar 2008. Beide wurden Amnesty-Recherchen zufolge aus der Nähe und ohne Vorwarnung erschossen. Beide waren unbewaffnet. Bisher hat dafür niemand die Verantwortung übernommen.

Der zweite Teil des Berichts erläutert die völkerrechtlichen Vorgaben zum Schutz von Zivilisten bei Kampfhandlungen. Zudem werden die unscharfe Abgrenzung der Mandate und die komplexen Befehlsstrukturen der internationalen Truppenorganisationen in Afghanistan beschrieben. "Die neue Direktive zum Schutz von Zivilisten bei Einsätzen und eine neu eingerichtete Stelle bei der Internationalen Schutztruppe in Afghanistan (ISAF) zur Untersuchung von zivilen Todesfällen sind willkommene erste Schritte, reichen aber nicht aus", sagte Harpe. "Direktiven und das bestehende Völkerrecht müssen auch konsequent umgesetzt werden. Der Fall der getöteten Brüder könnte hier ein Testfall sein."

Den 15-seitigen Bericht "Getting away with murder? The impunity of international forces in Afghanistan" finden Sie als pdf-Dokument im Anhang. Amnesty-Afghanistan-Expertin Verena Harpe steht für Interviews zur Verfügung.

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