Amnesty Journal Deutschland 24. Oktober 2016

"Verschlüsselung ist der einzige Weg, sich zu wehren"

"Verschlüsselung ist der einzige Weg, sich zu wehren"

Illustration: Lennart Gäbel

TOR, PGP, OTR – Sicherheit im Internet klingt oft ­kompliziert. Auf sogenannten Crypto-Partys kann man ­lernen, die eigene Privatsphäre im Internet zu schützen. Ein Gespräch mit Anne Nühm¹, Mitorganisatorin von ­Crypto-Partys in Berlin.

Interview: Ralf Rebmann

Wir nutzen Facebook und Smartphones und wollen am ­digitalen Leben teilhaben, zugleich aber anonym bleiben – ein Widerspruch?
Grundsätzlich halte ich es für wichtig, ein Gefühl und ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, wie man mit den eigenen ­Daten im Internet umgeht. Manchmal lässt sich schon durch wenig Aufwand das Risiko verringern und Missbrauch vorbeugen, damit zum Beispiel das eigene Konto nicht gehackt oder die Identität geklaut wird. Komplette Anonymität im Internet ist möglich, aber auch unbequem, da ein Großteil der Zeit für ­Computersicherheit aufgewendet werden muss. Man kann aber durchaus mit sensiblen Dokumenten, wie etwa den Snowden-Veröffentlichungen, arbeiten und trotzdem Social-Media-Kanäle nutzen, zum Beispiel indem man unterschiedliche Computer nutzt. Verschlüsselung spielt dabei eine zentrale Rolle.

Solche Verschlüsselungstechnologien kann man auf Crypto-Partys erlernen. Wer kann daran teilnehmen?
Jede und jeder kann mitmachen. Der Hintergrund der Beteiligten ist ganz unterschiedlich, man muss kein Vorwissen mitbringen. Allen Teilnehmenden ist jedoch die Privatsphäre und die Sicherheit im Internet und im digitalen Raum ein großes Anliegen. Die Idee zu den Crypto-Partys entstand, als Gesetzesentwürfe diskutiert wurden, die es Behörden ermöglichen sollten, anlasslos und ohne richterlichen Beschluss die Kommunikation von Bürgerinnen und Bürgern mitzulesen. Verschlüsselung ist der einzige Weg, um sich dagegen zu wehren. Konkret geht es bei den Veranstaltungen um verschiedene Strategien, die digitale Kommunikation sicherer zu machen, aber auch um kritische Fragen: Wieso bieten viele Social-Media-Unternehmen ihre Dienste eigentlich kostenlos an? Gibt es Alternativen zu Diensten, die ausschließlich von einem einzigen Unternehmen oder einer Organisation betrieben werden? Wieso wollen Facebook und Google an meine Daten? Und aus welchen Gründen wollen das die Geheimdienste?

Dass Geheimdienste unsere Kommunikation überwachen, wissen wir spätestens seit Edward Snowden. Hat sich seither ein Bewusstsein in der Bevölkerung für das Thema entwickelt?
Edward Snowden hat weite Teile der Bevölkerung für dieses Thema sensibilisiert und gut erläutert, wieso die Privatsphäre ein Grundrecht ist und wieso wir es schützen müssen – es ist der Ort, wo sich Gedanken entwickeln und Ideen entstehen. Das erhöhte Interesse an diesem Thema bemerken wir auch bei unseren Crypto-Partys: In Berlin fanden seit 2014 im Schnitt zwei Veranstaltungen pro Monat statt, mittlerweile sind es zwei pro Woche. Es ist auch nicht mehr wirklich notwendig zu erklären, dass es Massenüberwachung gibt. Auch im technischen Bereich lässt sich diese Entwicklung nachvollziehen. So sind mittlerweile die meisten Webseiten über einen verschlüsselten Übertragungsweg – erkennbar am "https" in der Adresszeile – erreichbar und der populäre Messenger-Dienst WhatsApp hat eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung eingeführt.

Nun hat ausgerechnet WhatsApp angekündigt, zukünftig die persönliche Telefonnummer zu Werbezwecken an Facebook zu senden. Welche Alternativen gibt es zu WhatsApp?
Der Messenger-Dienst Signal, der durch öffentliche Gelder als freie Software entwickelt wird, ist sehr bedienfreundlich und hat den momentanen De-facto-Standard für Ende-zu-Ende-Verschlüsselung eingeführt. Derselbe Standard wird übrigens auch von WhatsApp eingesetzt. Im Gegensatz zu WhatsApp kann man bei Signal jedoch sicher sein, dass die Nachrichten verschlüsselt werden und auch nach der Entschlüsselung nicht an einen zentralen Server zurückübermittelt werden, wie es bei vielen anderen Messenger-Diensten der Fall ist.

Was empfehlen Sie, um die eigene Privatsphäre zu schützen?
Es gibt zahlreiche Tools, die dabei helfen, Tracking im Internet, zum Beispiel durch Google Analytics oder Werbeanbieter, zu unterbinden. Dazu gehören zum Beispiel der Tor-Browser, aber auch Plugins wie uBlock Origin, Disconnect Me und Privacy Badger. Sie sind einfach zu installieren und helfen dabei, die eigenen Spuren im Internet zu verwischen. Für E-Mails existiert schon seit längerem das Verschlüsselungssystem PGP. Abhängig davon, gegen was man sich schützen möchte, sind diese Hilfsmittel schon ein guter Anfang.

Für Menschenrechtsverteidiger oder Journalisten ist es unerlässlich, dass deren Arbeit und Quellen anonym bleiben …
Auch hier kommt es auf den Kontext und das benötigte ­Sicherheitsniveau an. Bei Crypto-Partys können wir eine Ein­führung dazu bieten. Je gefährlicher Sicherheitslücken für die Beteiligten werden können, umso besser ist es, sich an Organisationen zu wenden, die sich auf die Sicherheit von Journalistinnen und Journalisten, Aktivistinnen und Aktivisten spezialisiert haben. Dazu gehören zum Beispiel das TacticalTech Collective, Access Now, The Centre for Investigative Journalism, Privacy International und andere. Generell kann man festhalten, dass Computersicherheit und Sicherheit im Allgemeinen viel mit Routine und Vertrauen zu tun haben – und beides benötigt Zeit. Deshalb ist es sinnvoll, sich schon im Voraus Programme und Verhaltensweisen anzueignen und Beziehungen aufzubauen, die man in Zukunft vielleicht einsetzen muss oder möchte.

¹ Name geändert

Weitere Informationen finden Sie auf www.cryptoparty.in

Dieser Artikel ist in der Oktober/November-Ausgabe 2016 des Amnesty Journal erschienen

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