Amnesty Journal Deutschland 21. Dezember 2016

Gefährliche Freunde

Gefährliche Freunde

Amnesty Journal Dez/Jan 2017

Freundschaft ist nicht immer im Sinne der Menschenrechte. So bieten sich Islamisten Jugendlichen als vermeintliche Freunde an – um diese für ihre menschenverachtenden Ideen zu benutzen.

Von Uta von Schrenk

Ob Deso Dogg tot ist, weiß man nicht so genau. Im Netz kursieren Gerüchte. Das Pentagon erklärte den deutschen Rapper 2015 für tot, die Propagandaabteilung der Terrormiliz IS im April 2016 für lebendig, die deutschen Sicherheitskräfte im Juni dann für möglicherweise verletzt, ein syrischer Journalist im Juli wiederum für tot. Wie auch immer. Seiner Legendenbildung ist das Hin und Her ­sicherlich dienlich. Was nützt einem Islamisten mehr als ein ­gewaltiger Nimbus? Schließlich geht es darum, Anhänger zu ­finden und zu binden.

Ein Rapper wie Deso Dogg hatte oder hat hier eine besondere Strahlkraft. Seine Songs bedienen das gerade bei sozial abgehängten Jugendlichen beliebte Underdog-Image, seine maximal provokanten Botschaften wie "Wir wollen euer Blut, es schmeckt so wunderbar" sind für den IS videotauglich und seine Biografie als ehemals deutscher Gangsta-Rapper, der als Vorkämpfer eines islamischen "Gottesstaates" zu sterben bereit ist, bietet der Szene den größtmöglichen Phönix-Effekt – den Aufstieg aus der Asche der Ungläubigen.

Die Anziehungskraft der Szene

Islamismus bzw. Salafismus in Deutschland wie in Westeuropa ist eine Szene Jugendlicher und junger Erwachsener, heißt es bei der Beratungsstelle Radikalisierung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. "Im Schnitt sind die Jugendlichen, die sich radikalen Salafisten anschließen, 18 bis 19 Jahre alt. In etwas mehr als einem Viertel der Fälle sind es Mädchen, auch hier ist die Tendenz steigend." Die Experten der Beratungsstelle betonen, dass es sich um ein "gesamtgesellschaftliches Phänomen" handele – muslimische Familien sind ebenso betroffen wie christliche, Akademikerfamilien ebenso wie sozial schwache.

Es ist eine bittere Erkenntnis: Ganz offensichtlich füllen die Islamisten mit ihren Angeboten eine Lücke: Sie bieten sich Jugendlichen an, die auf der Suche nach Halt und Orientierung sind. Eine gefährliche Freundschaft, die auf recht unterschiedlichen Wegen angebahnt wird.

In der islamistischen Szene gibt es regelrechte Stars wie den tot geglaubten Deso Dogg, den Ex-Boxer Pierre Vogel oder Sven Lau, gegen den derzeit am Oberlandesgericht Düsseldorf ein Prozess wegen Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung läuft. Die Anziehungskraft der Szene versucht Jochen Müller von "ufuq.de", einer Beratungsstelle zu Islam in Jugendkulturen und politischer Bildung, so zu erklären: "Jugendliche sind auf der Suche – und dann kommt ein Pierre Vogel und rappt ihnen den Islam in 30 Sekunden. Das hat dann nichts mit Manipulation zu tun, Pierre Vogel bedient in diesem Moment auf sehr einfache Weise bestimmte Bedürfnisse nach Orientierung und Gemeinschaft."

Die Rekrutierung

Die Ansprache erfolgt überall dort, wo Jugendliche sind: auf der Straße, in Shisha-Bars und vor allem über das Internet. "Das Internet erreicht viel mehr Jugendliche als eine Moschee oder eine Kirche. Die Eltern haben oft keine Ahnung in religiösen Fragen oder sie sind zu traditionell und herkunftsbezogen für ihre hier geborenen Kinder. Und der Imam in der Moschee fällt auch oft aus, weil er sich in den Lebenswelten der Jugendlichen auf Facebook oder in Shoppingmalls nicht auskennt. Was machen die Jugendlichen? Sie suchen im Internet nach Antworten – wo sie mit großer Wahrscheinlichkeit auch auf Prediger wie Pierre Vogel stoßen."

Letzterer hat auf Facebook immerhin mehr als 200.000 Mal "Gefällt mir" gesammelt. Und "Dabiq", das Online-Magazin der Terrormiliz IS mit Links zu ihren martialischen Propagandavideos, erscheint inzwischen auch auf Englisch und Deutsch – Zielgruppe Westeuropas Jugend.

Die Motivation, sich dem Salafismus zuzuwenden oder zu konvertieren, ist nach der Erfahrung der "ufuq"-Mitarbeiter, die an Schulen und in Jugendeinrichtungen Beratungsarbeit leisten, ähnlich gelagert wie etwa bei der Zuwendung zum Rechtsextremismus – Ideologie ist Ideologie. "Da ist die Suche nach Gerechtigkeit, Zugehörigkeit und Anerkennung, nach Identität wenn man so will. Oft spielen Familiengeschichten eine Rolle. Sehr oft auch das Gefühl, als Muslim diskriminiert oder benachteiligt zu werden. Salafisten können da andocken und sagen: 'Sie werden euch immer diskriminieren. Bei uns gehört ihr dazu, gemeinsam sind wir stark'", so Müller.

Jugendliche, die sich in Familie, Schule oder Freizeit als abgehängt oder unterlegen empfinden, erfahren plötzlich Aufmerksamkeit – endlich nimmt sie jemand wahr, endlich sind sie wer. "Das weist letztlich alles auf ganz normale Bedürfnisse von jungen Menschen, die offenbar woanders unbefriedigt oder unbeantwortet bleiben", sagt Müller.

Dem Düsseldorfer Islamwissenschaftler Michael Kiefer zufolge ist die gezielte Ansprache "das wichtigste Rekrutierungsformat, das auch in den sozialen Netzwerken läuft". Da berichten ausgereiste Frauen über ihre Whats-App-Gruppen von ihrem Allah-gefälligen Leben beim IS. Oder Syrien-Rückkehrer sprechen gezielt Jugendliche an, von denen sie vermuten, dass sie rekrutierbar sind. Diese Anwerbung läuft auch über das Netz, auf Facebook lächelt da der IS-Kämpfer vom Foto und ermuntert, Fragen zu stellen – dein Freund, der Dschihadist.

Das Einschwören auf die salafistische Gruppe erfolgt dann über die Abwertung anderer Menschen, über antipluralistische und freiheitsfeindliche Positionen. Verabreicht wird ein so süffiger wie gefährlicher Cocktail aus absolutem Wahrheitsanspruch, klaren Orientierungen, einfachen Welt- und Feindbildern, aus vermeintlichem "Wissen" über die Religion. Dennoch warnt Müller davor, das Vorgehen der Salafisten als Propaganda, Brainwashing oder Manipulation abzutun. "Wenn es die unbefriedigten Bedürfnisse von Jugendlichen nicht gäbe, könnten die Antworten der Salafisten nicht auf fruchtbaren Boden fallen."

Der Extremfall: Mitgliedschaft in der Terrormiliz IS

Am Ende dieser gefährlichen Freundschaft zwischen orientierungssuchenden Jugendlichen und sendungsbewussten Salafisten steht im Extremfall die Radikalisierung. Immer wieder werden junge Deutsche wegen Mitgliedschaft in der Terrormiliz IS verurteilt.

Besonders krass ist ein Fall aus Hannover: Wegen versuchten Mordes an einem Bundespolizisten und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung muss sich die zur Tatzeit 15-jährige Safia S. seit Ende Oktober 2016 vor dem Oberlandesgericht Celle verantworten. Die Messerattacke sei eine "Märtyreroperation" für den IS gewesen, lautet die Anklage.

Dennoch betont Müller, dass es nur einige sind, die in den Dschihad, in den "Heiligen Krieg", ziehen oder bereit sind, anderswo Menschen für ihre Ideologie zu töten. Der Verfassungsschutz ordnet rund 1.100 Menschen in Deutschland dem "islamistisch-terroristischen" Spektrum zu. Rund 800 radikale Islamisten aus Deutschland seien bislang in das Kampfgebiet nach Syrien und in den Irak ausgereist – ein Drittel von ihnen ist jedoch inzwischen wieder zurückgekehrt.

Jene, die es Islamisten wie Deso Dogg gleichtun wollen, sind aus Müllers Sicht Amoktäter. "Was hier einige fasziniert, ist vielleicht die Chance und die Legitimation, einmal im Leben obenauf zu sein, es anderen zu zeigen, einmal andere zu erniedrigen statt – so die Selbstwahrnehmung – immer von anderen getreten zu werden."

Angesichts von Millionen Menschen, die ihren muslimischen Glauben friedlich in Deutschland ausüben, erscheint Müller die Angst vor Terror und Gewalt trotz aller Risiken im öffentlichen Diskurs überdimensional. "Das Extreme finden einige Jugendliche cool – den allermeisten muslimischen Jugendlichen ist einer wie Vogel voll peinlich." Wer nicht wolle, dass sich Jugendliche radikalisieren, müsse ihre Suche nach Orientierung und Identität ernst nehmen – und demokratische Alternativen bieten. "Wenn ich die gefährlichen Freunde nicht will, muss ich selbst ein guter Freund sein", so Müller.

Die Beratungsstelle Deradikalisierung Hayat auf hayat-deutschland.de
Die Beratungsstelle Islam und politische Bildung auf www.ufuq.de

Dieser Artikel ist in der Dezember/Januar-Ausgabe 2016/2017 des Amnesty Journal erschienen

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