Amnesty Journal Deutschland 05. Oktober 2015

Wo sich die ­Gesellschaft spiegelt

"Ich bin ja kein Nazi, aber..." Heidenau 28.August 2015

"Ich bin ja kein Nazi, aber..." Heidenau 28.August 2015

Rassisten und "besorgte Bürger" nutzen die Online-Netzwerke, um gegen Flüchtlinge zu hetzen und rassistische Aktionen zu organisieren. Politiker und Unternehmen wie Facebook wollen nun härter gegen "Hate Speech" vorgehen. Doch Verbote allein werden nicht ausreichen.

Von Maik Söhler

Diesmal also Freital. Oder Dresden. Auch im Westen der Bundesrepublik brennen Unterkünfte für Asyl­bewerber. Neonazis zeigen in Dortmund den Hitler­gruß. Hooligans rufen Nazi-Parolen in Köln. Die organisierte extreme Rechte in Deutschland ist wieder da. Nur teilweise neu sind die handelnden Personen, neu aber ist der Grad der Vernetzung.

Es ist zur Mode geworden, Online-Netzwerken, Videoportalen, Foren und Chat-Software eine Mitverantwortung für die Vernetzung von Neonazis, Rassisten und "besorgten Bürgern" zuzusprechen, die Flüchtlinge bedrohen, attackieren und die Proteste in fast allen Regionen organisieren. Und diese Mode hat durchaus ihre realen Ursprünge. Zuletzt forderte Bundes­justizminister Heiko Maas das Online-Netzwerk Facebook wegen der Quantität und Qualität rassistischer, gegen Flücht­linge gerichteter Beiträge zum Handeln auf. Facebook scheint einsichtig zu sein und kündigte an, bei solchen Posts aufmerk­samer zu reagieren.

Späte und folgenlose Kritik

Die Ankündigung erfolgt spät. Schon die von diffus bis extrem rechts reichenden Demonstrationen in Dresden im Winter 2014/15 haben gezeigt, dass Pegida und ähnliche Vereinigungen verstanden haben, wie man im Internet Interessierte anlockt und Sympathisanten in ihrer Überzeugung bestärkt. Pegida-­Anhänger gründeten Facebook-Gruppe um Facebook-Gruppe, breiteten dort ihren Hass aus und versuchten ihre Verachtung darüber hinaus in die Kommentarspalten vieler Medienpräsenzen auf Facebook zu tragen.

Die Betreiber des Netzwerkes reagierten kaum auf Kritik, Löschanträge für rassistische Posts wurden überwiegend ab­gewiesen, da Facebook ein US-Unternehmen ist und die Meinungsfreiheit in der US-Verfassung und ihren Zusätzen noch stärker geschützt ist als im deutschen Grundgesetz. Ein Sprecher von Facebook betonte im August, Löschanträge aus Deutschland würden meist in den USA bearbeitet. In den USA steht "Hate Speech" unter Strafe, und dies spiegelt sich in den Nutzungs­bedingungen von Facebook wider. "Hate Speech" ist jedoch im Vergleich zu den klar definierten Paragrafen bezüglich nationalsozialistischer Hetze im deutschen Strafrecht ein recht schwammiger Begriff.

Es kann nicht schaden, wenn Justizminister Maas darüber mit Facebook sprechen will. Denn auch in der jüngsten Debatte über Flüchtlinge ist es wiederum dieses Netzwerk, das sich mit heftiger Kritik auseinandersetzen muss. "Facebook – Der Platz, wo Du Rassenhygiene fordern kannst, ohne belangt zu werden", schrieb die Autorin Marie von den Benken in einem vielbeachteten Artikel auf "Mobilegeeks.de". Und weiter: "Facebook hält nackte Brüste (…) offensichtlich für gefährlicher als einen Aufruf, Asylanten (…) nach Auschwitz zu deportieren und dort 'die Duschen wieder anzustellen'."

Sascha Lobo, Deutschlands wohl bekanntester Blogger, schrieb auf "Spiegel-Online": "Facebook hat (…) ein völlig ungelöstes Hate Speech-Problem. Mit der Folge, dass die Aber-Nazis dort beinahe ungehindert Stimmungen produzieren und verstärken können." Als "Aber-Nazis" bezeichnet Lobo all jene, die sagen, "Ich bin ja kein Nazi, aber …". Wer sich mal die Mühe macht, in die Facebook-Suche das Wort Heidenau einzugeben, wird sie schnell finden: Gruppen wie "Heidenau Asyl-frei", "Widerstand Heidenau" und "Bürgerinitiative Heidenau – Nein zu dieser Asylpolitik".

Zivilgesellschaftliche Intervention

Was diese Suche aber auch zeigt, ist, dass Akteure der Zivil­gesellschaft weitaus schneller und effizienter handeln können als der Justizminister. Denn all diese rechten Facebook-Gruppen können ihre Propaganda nicht unbehelligt verbreiten.

Hunderte Facebook-Nutzer drücken hier ihren Protest gegen Rassismus aus. Antifaschistische Gruppen, engagierte Bürger und Journalisten sind längst dazu übergegangen, die braunen Bereiche von Facebook zu beobachten, zu dokumentieren, im Netzwerk zu melden, eine Löschung zu fordern oder eine Polizeidienststelle zu informieren.

Auch das ist Vernetzung, und sie funktioniert. "Jedes Like bei Facebook zu einer entsprechenden volksverhetzenden Äußerung ist strafbar, das bedenken viele User im scheinbar anonymen Internet nicht", sagte der designierte Abteilungsleiter Staatsschutz in Stuttgart, Hans Matheis, Ende August. Bis Ende Juli habe es allein in Baden-Württemberg schon rund 1.000 Hinweise im Bereich Rechtsextremismus gegeben. "Ich rechne auch mit weiter steigenden Zahlen."

Andere Möglichkeiten, die Online-Kommunikation und -Vernetzung rechtsextremer Gruppen zu stören, bestehen darin, rassistische Leserkommentare in Online-Medien an die jeweiligen Redaktionen heranzutragen und auf ein rasches Entfernen zu drängen. Häufig begehen rechtsextreme Blogs, Foren und ­Social-Media-Gruppen Urheberrechtsverstöße, indem sie Texte, Textauszüge oder Fotos ihrer Gegner unautorisiert übernehmen – das sind strafbare Handlungen.

Man kann Firmen, die Online-Werbung schalten, darauf hinweisen, in welcher Umgebung ihre Werbung auftaucht. Zuletzt war auch vermehrt zu beobachten, dass rassistische Äußerungen von Facebook-Nutzern von Akteuren der Zivilgesellschaft an deren Arbeitgeber gemeldet werden; Entlassungen können die Folge sein.

Facebook als Abbild der Gesellschaft

Es ist wichtig, überall dort dagegenzuhalten, wo der Rechtsextremismus im Netz tobt. Auch Online-Netzwerke wie Twitter haben ein Problem mit Neonazis und ihren Anhängern, doch fällt es im Vergleich zu Facebook weitaus geringer aus, da Twitter-Nutzer früher, in größerer Anzahl und konsequenter gegen rassistische und den Nationalsozialismus verherrlichende Äußerungen und Profile vorgehen und Twitter nach anfänglichem Zögern mittlerweile häufig mit Sperrungen und Löschungen reagiert.

"Wenn sich nichts ändert, wird Facebook als der bedeu­tends­te Helfer einer Gesinnungskultur in die Geschichte eingehen, die jeder klar denkende Deutsche und jeder klar denkende Mensch als die größte Katastrophe der Nachkriegsgeschichte einordnen wird", schreibt Marie von den Benken in ihrem Text auf "Mobilegeeks.de". Das ist zugleich übertrieben und wahr. Es ist wahr, weil Facebook derzeit von allen größeren Netzwerken am wenigsten gegen Rassismus unternimmt. Und es ist übertrieben, weil Facebook doch nur abbildet, was in der deutschen Gesellschaft vorhanden ist – unabhängig vom Internet.

Rassismus, Antisemitismus, Hetze und Gewalttaten gegen Flüchtlinge – all das zeigt sich in Deutschland seit Jahren und Jahrzehnten. Als im August 1992 Neonazis mehrere Tage lang ein Flüchtlingsheim in Rostock-Lichtenhagen angriffen, war das Internet kaum mehr als ein Forschungsverbund von Universitäten und ein Kommunikationsnetz von US-Militärs; Facebook wurde erst zwölf Jahre später gegründet.

Die Bilder aus Rostock-Lichtenhagen zeigen neben unendlichem Hass auch, dass damals kaum jemand ein Mobiltelefon hatte. Organisiert haben sich Rechtsextreme trotzdem im großen Umfang. Bei aller ­berechtigten Aufregung um Rassismus im Netz sollte man das nicht vergessen.

Der Autor ist Journalist.

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