Amnesty Journal 28. März 2013

Im zweiten Anlauf

Im März beginnt die neue Verhandlungsrunde für einen Vertrag zur Kontrolle des Waffenhandels. Deutschland unterstützt das Abkommen, steigert aber zugleich seine Rüstungsexporte auch in Krisenregionen erheblich.

Von Mathias John

Drei Wochen lang verhandelten die Regierungsdelegationen im Juli vergangenen Jahres in New York über einen internationalen Waffenhandelsvertrag (Arms Trade Treaty – ATT). Am vorletzten Tag der Konferenz lag ein Entwurf auf dem Tisch, der sogar den Skeptikern, einschließlich der USA, aber auch zivilgesellschaftlichen Gruppen konsensfähig erschien. Der mit Optimismus begonnene letzte Verhandlungstag endete aber mit einer kalten Dusche: Die US-Delegation reklamierte mehr Zeit zur Prüfung des Vertragsentwurfs, dem schlossen sich eilends auch Russland und andere skeptische Staaten an. Die Verabschiedung eines Vertrags wurde aufgeschoben, die ATT-Konferenz endete ohne greifbares Ergebnis.

Allerdings blieben sowohl der Wettlauf zum kleinsten gemeinsamen Nenner als auch das von diversen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren vorhergesagte endgültige Scheitern aus. Mehr als 90 Staaten haben direkt nach der Konferenz noch einmal die Notwendigkeit eines Waffenhandelsvertrags betont. Umgehend wurden diplomatische Bemühungen eingeleitet, um den Prozess zu retten und die Verhandlungen auf der Grundlage des bisher Erreichten fortzuführen – mit Erfolg.

Nun gibt es eine neue Perspektive: Mit großer Mehrheit und ohne Gegenstimmen haben der erste Ausschuss (Abrüstungsausschuss) der UNO-Generalversammlung und schließlich auch diese selbst noch Ende 2012 eine abschließende Konferenz zum ATT beschlossen. Grundlage der für März geplanten Verhandlungen bleibt der bestehende Vertragsentwurf, aber leider auch die prozedurale Festlegung, die unter anderem eine Verabschiedung des ATT im Konsens vorsieht.

Damit liegt ein Kompromiss auf dem Verhandlungstisch, der wichtige Forderungen der Zivilgesellschaft beinhaltet, aber noch etliche Defizite aufweist. Für Amnesty International steht die "Goldene Regel" zur Kontrolle von Rüstungstransfers weiter im Vordergrund: Rüstungstransfers sind zu verbieten, wenn ein erhebliches Risiko besteht, dass diese zu schwerwiegenden Verletzungen der Menschenrechte oder des humanitären Völkerrechts führen oder dazu beitragen.

Wichtige Aspekte der "Goldenen Regel" wurden in den Vertragsentwurf aufgenommen, zudem sollen die Kontrollmaßnahmen neben Großwaffen wie Panzern, Kampfflugzeugen, Kriegsschiffen, Raketen auch auf Kleinwaffen, leichte Waffen und begrenzt auch auf Munition angewendet werden.

Dringend ausgeräumt werden müssen aber noch die Schwächen des Entwurfs. So bleibt die Kontrolle von Transfers von Munition und Rüstungskomponenten nur optional und gerade bei Munition nur eingeschränkt. Weiterhin soll nur der reine "Handel" mit Waffen kontrolliert werden, andere Transfers bleiben außen vor, ebenso wie bestehende Rüstungskooperationen. Die Vertragsklauseln in Bezug auf Kriegsverbrechen und geschlechtsspezifische Gewalt müssen deutlich verstärkt werden. Die Implementierung des Vertrags, die Standards zur Risikobewertung, aber auch die Sanktionierung bei Verstößen sind nur unzureichend geregelt, zudem fehlt eine Pflicht zu angemessener internationaler Berichterstattung.

Dennoch: Der dringende Bedarf für den ATT besteht allemal weiter. Immer noch landen durchunverantwortliche Rüstungstransfers zu viele Waffen und zu viel Munition in den falschen Händen, immer noch sind die Auswirkungen solcher Rüstungstransfers, wie Mord, Vergewaltigung, Verstümmelung, Folter, Armut oder Flucht, katastrophal. Tagtäglich werden Menschenrechte unter Verwendung unkontrolliert gelieferter Waffen ­verletzt. Waffenlieferungen heizen Konflikte weiter an und ­gefährden die Millenniums-Entwicklungsziele der Vereinten Nationen.

Die Statistiken der vergangenen Jahre zeigen global weiter ein ungebremstes Wachstum der Rüstungstransfers. Deutschland ist dabei einer der größten Rüstungsexporteure, im langjährigen Mittel steht die Bundesrepublik weltweit auf dem dritten Platz. Der kürzlich veröffentlichte Rüstungsexportbericht der Bundesregierung für 2011 bestätigt diese beunruhigende Entwicklung. Vor allem die Steigerung der Genehmigungen an sogenannte Drittstaaten auf 42 Prozent – gegenüber 29 Prozent im Jahr 2010 – lässt befürchten, dass Menschenrechte im Genehmigungsverfahren nur nachrangig sind. Die deutsche Politik bleibt ambivalent: Einerseits wird ein strikter ATT unterstützt, andererseits werden Rüstungstransfers auch außerhalb von EU und NATO erleichtert und sogar als Instrument der Friedenssicherung gerechtfertigt.

So bleibt der Handlungsbedarf in Deutschland, endlich die Berücksichtigung von Menschenrechten bei Genehmigungen von Rüstungstransfers zu erreichen. Allerdings reicht es dazu nicht aus, die nationalen Regeln zu verschärfen. Angesichts internationaler staatlicher Rüstungskooperationen und der zunehmenden Globalisierung der Rüstungsindustrie muss das Problem unverantwortlicher Rüstungstransfers lokal und global angegangen werden. Das Ziel muss weiterhin eine breite internationale Festlegung sein, die möglichst viele Staaten gleichermaßen in die Pflicht nimmt. Ein strikter und wirksamer ATT bleibt dabei ein zentrales Element.

Auch wenn im Juli 2012 taktische Spiele der großen Waffenexportnationen den unmittelbaren Erfolg verhinderten, wollen viele Staaten den vorgelegten Entwurf zügig verabschieden. Der Vertrag soll dann mit breiter Unterstützung der internationalen Staatengemeinschaft in den Ratifizierungsprozess gehen. Dafür gibt es im März 2013 eine Chance, die nicht leichtfertig vertan werden darf. Dabei muss auch die Zivilgesellschaft weiter öffentlichen Druck aufbauen, um die Staaten in die Pflicht zu nehmen. Sollte die ATT-Konferenz erneut kein greifbares Ergebnis erzielen, bleibt für die unterstützenden Staaten immer noch der Weg, in der UNO-Generalversammlung mit Mehrheit einen strikten Vertragstext zu verabschieden.

Der Autor ist Rüstungsexperte der deutschen Sektion von Amnesty ­International.

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