Amnesty Journal Bahrain 28. Mai 2013

Digitale Waffen

Deutsche Technologieunternehmen liefern autoritären ­Regierungen Spionagesoftware und tragen so zu schweren Menschenrechtsverletzungen bei. Weil die Exporte nicht genehmigungspflichtig sind, ist eine Kontrolle nur schwer möglich.

Von Wolf-Dieter Vogel

Für Abdul Ghani al Khanjar muss die Werbung des deutschen Softwareunternehmens Trovicor besonders zynisch klingen: "Unsere tiefgründige industrielle Erfahrung sowie die enge Partnerschaft mit den Kunden lässt uns immer bessere Wege finden, um die Anforderungen unserer Klienten zu erfüllen", informiert die in München ansässige Firma auf ihrer Webseite. Al Khanjar, der sich in seiner Heimat Bahrain für die Menschenrechte einsetzt, musste im Jahr 2010 am eigenen Leib erleben, welche Anforderungen Trovicor-Kunden gemeinhin stellen. Zunächst hatten Sicherheitskräfte in einem unterirdischen Raum mit Gummischläuchen auf ihn eingeschlagen, dann zeigten sie dem 39-jährigen Lehrer Abschriften von SMS-Texten, die er auf seinem Handy gespeichert hatte. Als er sich weigerte, über diese Nachrichten zu sprechen, prügelten die Beamten ­weiter.

Erst später erfuhr al Khanjar, wie seine Peiniger an die SMS-Mitteilungen gekommen waren: Ein "Monitoring Center" half den Behörden, den Regimekritiker zu überwachen. Hinter diesem Namen verbirgt sich eine Software, die der Siemens-Konzern in alle Welt verkauft hat. Später wurde sie vom Folgeunternehmen Nokia Siemens Networks (NSM) betreut. Diese Beobachtungszentren überwachen Internet-, Handy- und Telefonkommunikation. Ausgefeilte Programme orten Personen, zeichnen Unterhaltungen auf und installieren Spionagesoftware auf fremden Computern, um Gespräche über das Internet-Telefonprogramm Skype oder E-Mails auszuspähen.

Nach Informationen des US-Magazins "Bloomberg Market", mit dem al Khanjar nach seiner Freilassung gesprochen hat, hat die Betreuung des "Monitoring Centers" in Bahrain mittlerweile die Trovicor GmbH übernommen, die einst von NSM gegründet wurde. Bei Nokia Siemens selbst will man heute mit der fragwürdigen Dienstleistung für den Golfstaat nichts mehr zu tun haben. "Monitoring Center" seien problematisch, ließ Konzernmanager Barry French 2011 im Europaparlament wissen: "Hier besteht das Risiko, dass Menschenrechtsfragen auftauchen, mit denen wir uns nicht auseinandersetzen können." Wie das Unternehmen inzwischen auf diesem Markt agiert, ist angesichts der undurchsichtigen Strukturen schwer nachvollziehbar.

Klar aber ist: Viele deutsche Firmen sind in das Geschäft eingebunden und verdienen ihr Geld damit, autoritäre Regime mit Spionagesoftware zu versorgen und diese zu warten. So betreute Trovicor wahrscheinlich noch zu Zeiten, als der Bürgerkrieg in Syrien bereits begonnen hatte, digitale Überwachungsanlagen des Regimes von Baschar al-Assad. Und das mit den entsprechenden Konsequenzen für Oppositionelle, wie Amnesty-Rüstungsexperte Mathias John vermutet: "Ich befürchte, dass die Überwachung des Internets durch die syrischen Sicherheitskräfte mit dazu führt, dass Regimegegner inhaftiert werden und dann Gefahr laufen, systematisch gefoltert zu werden."

Schon 2005 lieferte das Aachener Unternehmen Utimaco Komponenten für ein "Monitoring Center" an NSN, mit dem letztlich der syrische Mobilfunkanbieter Syriatel gearbeitet hat. Ägyptische Demonstranten entdeckten die von der Firma Gamma International angebotene "Finfisher"-Software, als sie die Zentrale der Staatssicherheit Husni Mubaraks stürmten. Das britisch-deutsche Unternehmen ist mit seiner Finfisher-Pro­dukt­reihe offenbar auch in Bahrain aktiv – seine Software wurde jedenfalls auf Rechnern bahrainischer Oppositioneller gefunden.

"Diese Leute wissen genau, wofür ihre Technologien genutzt werden", sagt Maryam al-Khawaja vom "Bahrain Center for Human Rights". Spätestens seit der brutalen Niederschlagung von Protesten im Jahr 2011 wisse die Welt, wie es um die Menschenrechte in ihrem Land bestellt sei. Gefangene werden gefoltert, Demonstranten mit unverhältnismäßiger Gewalt angegriffen, Dissidenten verlieren ihre Arbeitsplätze. "Unter solchen Umständen sind die Verkäufer von Überwachungssoftware direkt mitverantwortlich für die Verbrechen, die mithilfe ihrer Waren verübt werden", ist al-Khawaja überzeugt. Wolle man die Übergriffe stoppen, müssten auch die Unternehmen zur Rechenschaft gezogen werden.

Um das zu erreichen, haben Anfang Februar mehrere NGOs bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) Beschwerde gegen Trovicor und Gamma International eingelegt. Das Ziel: Die Verträge mit Bahrain sollen geprüft, in allen künftigen Liefervereinbarungen dieser Art sollen Menschenrechtsklauseln eingefügt werden. Grundsätzlich gelte es, so die Kritiker der gefährlichen Exporte, auch auf politischer und gesetzlicher Ebene restriktiver gegen die Ausfuhr dieser Waren vorzugehen. "Exporte solcher digitalen Waffen müssen den gleichen Beschränkungen unterworfen werden wie Auslandsgeschäfte mit traditionellen Rüstungsgütern", fordert etwa Christian Mihr von der Organisation "Reporter ohne Grenzen", die an der Beschwerde beteiligt ist.

Im Gegensatz zu internationalen Rüstungsdeals ist das Geschäft mit Spionagesoftware und anderen digitalen Überwachungsanlagen in Deutschland beim Bundesausfuhramt nur melde-, nicht aber genehmigungspflichtig. Das hat auch zur Folge, dass die Behörde nicht, wie das beim Export von Panzern oder Gewehren der Fall ist, den Bundestag und damit die Öffentlichkeit im Jahr nach der Genehmigung über Exporte oder Dienstleistungen in diesem Bereich informieren muss.

Auch auf europäischer Ebene müssen sich Firmen wie Trovicor, Utimaco oder Gamma nicht für ihre Exporte verantworten. Zwar beschäftigte sich das EU-Parlament immer wieder mit dem Thema, doch vor allem die deutsche Regierung stellt sich quer. Der Versuch, strenge Vorabkontrollen zu vereinbaren, scheiterte nicht zuletzt am FDP-Politiker Rainer Brüderle. Als Wirtschaftsminister machte er sich 2010 bei liberalen Europaabgeordneten gegen Restriktionen stark. Solche Einschränkungen würden die deutsche Wirtschaft schwächen und auf EU-Ebene unnötigen bürokratischen Aufwand verursachen. Brüderles Einsatz hatte Erfolg: Der EU-Rat sowie die Kommission vereinbarten zwar mit der notwendigen Zustimmung des EU-Parlaments zahnlose Menschenrechtsklauseln, jedoch keine Vorabkontrollen. Auch einer stärkeren Harmonisierung der EU-Exportbestimmungen steht die schwarz-gelbe Koalition kritisch gegen­über. Solche Maßnahmen dürften, so ließ die Regierung mit Blick auf die arabischen Länder 2011 wissen, "die Wirtschafts­beziehungen mit den neuen Gestaltungsmächten nicht unan­gemessen erschweren und verhindern".

Der Autor ist Journalist und lebt in Berlin.

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