Amnesty Journal Iran 02. Oktober 2009

Proteste, Prügel und Prozesse

Mit allen Mitteln versucht die iranische Regierung, die Empörung über die Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen zu unterdrücken.

"Die Menschen im Iran brauchen internationale Unterstützung heute mehr denn je, da die politischen Lager in Teheran sich gegeneinander ausspielen. Die internationale Aufmerksamkeit und der Druck müssen fortgesetzt und verstärkt werden, um diejenigen, die in Teheran das Sagen haben, zu beeinflussen." Diesen eindringlichen Appell richtete die iranische Menschenrechtsverteidigerin und Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi Ende Juli in London bei einem Besuch in der Amnesty-Zentrale an die Öffentlichkeit. Einige Tage zuvor hatten Tausende Menschen in mehr als hundert Städten weltweit am internationalen Aktionstag für die Menschenrechte im Iran teilgenommen.

Auch Wochen nach den umstrittenen Präsidentschaftswahlen vom 12. Juni sieht die Menschenrechtslage düster aus. Polizei und Milizen gingen mit exzessiver Gewalt gegen zumeist friedliche Demonstranten vor und unterdrückten mit äußerster Brutalität jede Versammlung, bei der die Regierung kritisiert wurde. Forderungen nach Aufklärung blieben bislang jedoch unbeantwortet. Familien, die nach verschwundenen Angehörigen suchten, wurden von den Behörden abgewiesen, so wie die Mutter des 19-jährigen Studenten Sohrab Arabi, der am 15. Juni während einer Demonstration verschwand.

Fast einen Monat lang bemühte sich Sohrabs Mutter Parvin Fahimi vergeblich bei Gefängnissen, Gerichten und Behörden um Auskunft über das Schicksal ihres Sohnes. In einem Stapel mit Fotos von Toten, die der Familie bei einem Gericht am 11. Juli übergeben wurden, erkannte die verzweifelte Mutter ihren Sohn. Die Familie fand heraus, dass sich seine Leiche seit dem 19. Juni bei der Gerichtsmedizin befand.

Sohrab Arabi starb durch eine Kugel ins Herz. Was zwischen dem 15. und 19. Juni mit ihm geschah und wer für seinen Tod verantwortlich ist, ist bis heute nicht aufgeklärt. Sohrab Arabi ist eines der 30 Todesopfer, die von offizieller Seite eingeräumt werden. Amnesty geht davon aus, dass tatsächlich mehr Menschen getötet wurden. Oppositionelle Kreise sprechen von 69 Todesopfern seit den Wahlen.
Statt aufzuklären und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, betreiben die iranischen Behörden und hochrangige konservative Regierungsvertreter eine Kampange der Desinformation, der haltlosen Unterstellungen gegenüber mutmaßlichen Tätern und der Einschüchterung von Angehörigen der Opfer.

So reagierten offizielle Stellen auf den Tod der jungen Studentin Neda Agha-Soltan, die am Rande einer Demonstration in Teheran am 20. Juni an einer Schusswunde in der Brust starb, mit Dementis. Staatliche Medien berichteten, Einsatzkräfte würden keine Schusswaffen gegen Demonstranten einsetzen. Die Polizei habe angegeben, die junge Frau sei durch einen Schuss in den Hinterkopf getötet worden. Die Waffe sei aus dem Ausland ins Land geschmuggelt worden, eine radikale Oppositionsgruppe sei für den Tod von Neda Agha-Soltan und anderen Demonstranten verantwortlich. Das Handy-Video, welches das Sterben der jungen Frau dokumentiert, sei gefälscht. Über eine unabhängige und transparente Untersuchung ist nichts bekannt. Stattdessen schüchtern Sicherheitskräfte die Angehörigen und Freunde der Opfer ein und untersagen öffentliche Trauerfeiern.

Die drastischen Einschränkungen der Meinungs- und Pressefreiheit konnten nicht verhindern, dass Informationen und Bilder über die Massenproteste und ihre gewaltsame Unterdrückung an die Öffentlichkeit drangen. Anfang August räumte der Sprecher der iranischen Justiz Alireza Jamshidi ein, dass die Sicherheitskräfte seit den Wahlen 4.000 Menschen festgenommen haben.

Junge Demonstranten berichteten, dass sie in Einrichtungen der Bassij-Milizen und des Innenministeriums in völlig überfüllten Zellen festgehalten wurden. Verhöre waren begleitet von brutalen Schlägen und Folterungen, um sie zu Aussagen zu zwingen, mit denen sie sich selbst und andere belasten. Insbesondere in der Haftanstalt Kahrizak in der Nähe von Teheran wurden Inhaftierte offenbar so schwer gefoltert, dass sie an den Folgen der Verletzungen starben.

Erste Berichte über schwere Folter und Vergewaltigung bis hin zum Tod von Inhaftierten wurden von offiziellen Stellen zurückgewiesen. Der Parlamentssprecher Ali Larijani erklärte noch Mitte August, eine parlamentarische Untersuchung habe keine Beweise für die Vergewaltigung oder Folter von Häftlingen erbracht.

Dieses Dementi erscheint zynisch angesichts der Tatsache, dass Revolutionsführer Khamenei bereits Ende Juli die Schließung der berüchtigten Haftanstalt Kahrizak angeordnet hatte. Khamenei hatte zuvor eine Untersuchung des Todes von Mohsen Rouhalamini, dem Sohn eines prominenten Regierungsbeamten, verfügt. Der junge Mann wurde am 9. Juli festgenommen und in Kahrizak festgehalten. Er starb zwei Wochen später an Herzstillstand und Lungenblutungen.

Erschütternde Berichte über sexuelle Erniedrigungen und Vergewaltigungen von jungen Männern und Frauen, die der ­unterlegene Präsidentschaftskandidat Mehdi Karroubi gegen erbitterte Widerstände wiederholt öffentlich gemacht hat, haben heftige Debatten ausgelöst. Sowohl das Parlament als auch die Justiz haben mittlerweile Komitees einberufen, die diese Vorwürfe untersuchen sollen. Angesichts fehlender Transparenz über die Zusammensetzung, das Mandat und die Arbeitsweise dieser Komitees ist äußerst zweifelhaft, ob sie zu einer unabhängigen Aufklärung der schweren Übergriffe beitragen werden.

Bislang letztes Kapitel der Unterdrückung der friedlichen Proteste gegen das umstrittene Wahlergebnis sind die Massenprozesse, in denen seit dem 1. August mehr als hundert zumeist prominente Oppositionelle, Journalisten und zivilgesellschaftliche Aktivisten unter vage formulierten Anklagepunkten vor Gericht gestellt werden. Die Staatsanwaltschaft wirft den Angeklagten die Verschwörung mit ausländischen Mächten mit dem Ziel einer "samtenen Revolution" zum Sturz der Regierung vor. Wie in einem Schauprozess werden sichtbar geschwächte Reformpolitiker im staatlichen Fernsehen vorgeführt, wie sie "Geständnisse" verlesen und sich von ihren politischen Überzeugungen distanzieren.

Die Angeklagten waren zuvor wochenlang in Isolationshaft und wurden langandauernden Verhören unterzogen. Vieles spricht dafür, dass die "Geständnisse" unter psychischem und physischem Zwang erpresst wurden. Von einem fairen Verfahren kann keine Rede sein: Anwälte haben keinen Zugang zu den Akten der Staatsanwaltschaft oder zu ihren Mandanten. Ihnen wurde der Zugang zum Prozess verweigert. Das Revolutionsgericht hat die unter Zwang erpressten Geständnisse zugelassen.

Außerhalb des Gerichtssaals ist ein öffentlicher Streit um die Massenprozesse entbrannt: Oppositionspolitiker wie der unterlegene Präsidentschaftskandidat Mir Hossein Mussawi und der ehemalige Präsident Mohammed Khatami verurteilen die Prozesse. Präsident Ahmadinedschad dagegen fordert von der Justiz die gnadenlose Verfolgung derjenigen, die das Wahlergebnis in Frage stellen. Die Spaltungen in den politischen Lagern, von denen Shirin Ebadi sprach, scheinen offen ausgebrochen zu sein. Sehr viel Druck – sowohl im Iran selbst als auch international – wird notwendig sein, um ein Ende der schweren Menschenrechtsverletzungen und Gerechtigkeit für die Opfer zu ­erreichen.

Von Ruth Jüttner.
Die Autorin ist Nahost-Expertin der deutschen Amnesty-Sektion.

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