Amnesty Report 20. Mai 2017

Ruanda 2017

Amnesty Report 2016 / 2017

Es herrschte weiterhin ein Klima, das offene Diskussionen und kritische Meinungsäußerungen kaum zuließ – nicht zuletzt angesichts der für 2017 geplanten Präsidentschaftswahl. Ranghohe Armeeangehörige wurden nach einem Prozess, der rechtliche Mängel aufwies, zu hohen Strafen verurteilt.

HINTERGRUND

Präsident Paul Kagame kündigte im Oktober 2016 eine weitreichende Kabinettsumbildung an. Außerdem werde das Ministerium für innere Sicherheit aufgelöst und dessen Aufgaben vom Justizministerium übernommen. Im Juli 2016 war Ruanda Gastgeber des Gipfeltreffens der Afrikanischen Union.

RECHTE AUF VEREINIGUNGS- UND VERSAMMLUNGSFREIHEIT

Die zugelassene Oppositionspartei Demokratische Grüne Partei Ruandas (Democratic Green Party of Rwanda – DGPR) kündigte im März 2016 an, sie werde zur Präsidentschaftswahl 2017 nur antreten, wenn die Regierung auf ihre Forderungen nach politischen Reformen eingehe und außerdem das Wahlrecht ändere. Die Behörde für Regierungsführung (Rwanda Governance Board) lehnte die von der Partei geforderten Reformen im September 2016 jedoch ab. Am 17. Dezember nominierte die DGPR ihren Vorsitzenden Dr. Frank Habineza als Präsidentschaftskandidaten.

Die nicht zugelassene Oppositionspartei Forces Démocratiques Unifiées (FDU-Inkingi) wurde weiterhin stark in ihrer Arbeit behindert. Illuminée Iragena, die Mitglied der Partei war, "verschwand" am 26. März 2016 auf dem Weg zur Arbeit. Menschen aus ihrem Umfeld befürchteten, dass sie rechtswidrig inhaftiert und gefoltert wurde und möglicherweise nicht mehr am Leben ist. Angehörige, die polizeiliche Ermittlungen forderten, erhielten keine offizielle Antwort der Behörden.

Ein weiteres Mitglied der FDU-Inkingi, Léonille Gasengayire, wurde im März 2016 festgenommen und drei Tage inhaftiert, nachdem sie die inhaftierte Parteivorsitzende Victoire Ingabire im Zentralgefängnis von Kigali besucht hatte. Im August 2016 wurde sie in Kivumu (Bezirk Rutsiro) erneut festgenommen und wegen Anstiftung zum Aufstand angeklagt. Sie befand sich Ende 2016 noch in Haft, ein Gerichtsverfahren war noch nicht eingeleitet worden.

RECHT AUF FREIE MEINUNGSÄUßERUNG

Anfang 2016 nahm die Ruandische Kommission für Gesetzesreformen Gespräche mit Medienschaffenden über eine Reform des Mediengesetzes von 2013 auf. Im Rahmen ihres Plans, die Empfehlungen der Allgemeinen Regelmäßigen Überprüfung des Landes durch den UN-Menschenrechtsrat im Jahr 2015 umzusetzen, sicherte die ruandische Regierung zu, den Straftatbestand der "Diffamierung" abzuschaffen.

Der Journalist John Ndabarasa wurde zuletzt am 7. August 2016 in Kigali gesehen. Nachdem die Ruandische Medienkommission ihn als vermisst gemeldet hatte, erklärte die Polizei, sie werde entsprechende Ermittlungen einleiten. Es war nicht klar, ob das "Verschwinden" von John Ndabarasa in Zusammenhang stand mit seiner Tätigkeit als Journalist oder mit seiner familiären Verbindung zu Joel Mutabazi, einem früheren Leibwächter von Präsident Kagame, der eine lebenslange Haftstrafe wegen Verrats verbüßte.

MENSCHENRECHTSVERTEIDIGER

Der Kongolese Epimack Kwokwo, der als Programmkoordinator für die regionale NGO Menschenrechtsliga der Region der Großen Seen (Ligue des Droits de la Personne dans la Région des Grands Lacs – LDGL) arbeitete, wurde am 28. Mai 2016 aus Ruanda ausgewiesen, als seine Arbeitserlaubnis auslief. Bei der Verlängerung der Zulassung der NGO hatte es zuvor lange Verzögerungen gegeben. Epimack Kwokwo erfuhr von seiner Ausweisung, als er einen Termin bei der Einwanderungsbehörde wahrnahm. Er wurde von dort direkt an die Grenze zur Demokratischen Republik Kongo gebracht, ohne dass man ihm erlaubte, vorher nach Hause zu gehen, um persönliche Dinge einzupacken und seine Familie zu verständigen. Im November 2016 wurde die Zulassung der LDGL verlängert.

VÖLKERRECHTLICHE VERBRECHEN

2016 mussten sich in Ruanda und in Schweden Personen vor Gericht verantworten, die im Verdacht standen, 1994 am Völkermord in Ruanda beteiligt gewesen zu sein.

Im März 2016 überstellten die kongolesischen Behörden Ladislas Ntaganzwa nach Ruanda, um ihn dort wegen Völkermords und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht zu stellen. Grundlage war ein Haftbefehl des Internationalen Residualmechanismus für die Ad-hoc-Strafgerichtshöfe. Dieser fungiert als Nachfolgeeinrichtung des Internationalen Strafgerichtshofs für Ruanda, der Ende 2015 offiziell geschlossen wurde.

Das Hohe Gericht von Ruanda verhängte im April 2016 eine lebenslange Freiheitsstrafe gegen Léon Mugesera, den Kanada im Jahr 2012 ausgeliefert hatte. Er wurde wegen Anstiftung zum Völkermord und Anstiftung zu ethnischem Hass und ethnischer Verfolgung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit für schuldig befunden. Von den Vorwürfen der Vorbereitung und Planung des Völkermords sowie der Verschwörung zum Völkermord wurde er hingegen freigesprochen.

Ein Gericht in Schweden verurteilte Claver Berinkidi im Mai 2016 wegen Völkermords zu lebenslanger Haft. 15 Personen, denen die Ermordung gedroht hatte oder die die Ermordung ihrer Verwandten mitansehen mussten, erhielten Entschädigungen in Höhe von 3900 bis 13000 US-Dollar (etwa 3600 bis 12200 Euro) zugesprochen.

Im Dezember 2016 bestätigte ein französisches Gericht die gegen Pascal Simbikangwa verhängte Haftstrafe von 25 Jahren. Der ehemalige ruandische Geheimdienstchef war des Völkermords und der Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gesprochen worden.

Neben Gerichtsverfahren wurden weitere Maßnahmen gegen Personen ergriffen, die im Verdacht standen, im Zusammenhang mit dem Völkermord Verbrechen verübt zu haben.

Die deutschen Behörden nahmen im Juli 2016 Enoch Ruhigira fest, der 1994 Leiter des Präsidialamts des damaligen ruandischen Präsidenten Juvénal Habyarimana war. Grundlage war ein Ersuchen der ruandischen Behörden. Ruanda hat seine Auslieferung beantragt, um ihn wegen Völkermords vor Gericht zu stellen.

Der ehemalige Universitätsprofessor Léopold Munyakazi wurde am 28. September 2016 von den USA nach Ruanda ausgeliefert. Er wurde dort wegen Völkermords, Beihilfe zum Völkermord, Verschwörung zum Völkermord, Vernichtung und Völkermordleugnung angeklagt. Er war nach dem Völkermord festgenommen, jedoch aus Mangel an Beweisen 1999 auf freien Fuß gesetzt worden. 2006 stellte Ruanda einen internationalen Haftbefehl aus, nachdem Léopold Munyakazi einen Monat zuvor in einer Rede gesagt hatte, bei den Massakern von 1994 habe es sich nicht um einen ethnischen Konflikt, also nicht um einen Völkermord gehandelt. Bei einer mündlichen Verhandlung im Oktober 2016 plädierte er auf nicht schuldig.

Am 12. November 2016 lieferten die Niederlande Jean-Claude Iyamuremye und Jean-Baptiste Mugimba an Ruanda aus. Die Behörden verdächtigten sie des Völkermords und überstellten sie in das Zentralgefängnis von Kigali. Die kanadischen Behörden schoben am 17. November 2016 Henri Jean-Claude Seyoboka ab, dem Beteiligung am Völkermord zur Last gelegt wird. Er hatte in seinem Asylantrag verschwiegen, dass er beim Militär gewesen war.

UNFAIRE GERICHTSVERFAHREN

Am 31. März 2016 verurteilte das Hohe Militärgericht in Kanombe Oberst Tom Byabagamba zu 21 Jahren und den pensionierten Brigadegeneral Frank Rusagara zu 20 Jahren Gefängnis. Die beiden Männer wurden für schuldig befunden, in der Zeit, als sie führende Stellungen innehatten, die Bevölkerung zum Aufruhr angestiftet und das Ansehen der Regierung beschädigt zu haben. Der Schuldspruch stand im Widerspruch zum Recht auf freie Meinungsäußerung der Angeklagten, da er sich auf Vorwürfe bezog, wonach sie kritische Online-Artikel per E-Mail geteilt hätten, sowie auf Äußerungen in privatem Kontext. Das Gericht verurteilte Oberst Byabagamba zudem wegen Unterschlagung von Beweisen und Missachtung der Nationalflagge und erkannte ihm seinen militärischen Rang und seine Auszeichnungen ab. Frank Rusagara wurde zusätzlich wegen illegalen Waffenbesitzes schuldig gesprochen. Sein früherer Fahrer, der pensionierte Unteroffizier François Kabayiza, wurde wegen Unterschlagung von Beweisen zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Gegen die Urteile wurden Rechtsmittel eingelegt.

Die Richter gingen auf François Kabayizas Vorwurf, er sei während der Verhöre gefoltert worden, und auf seine Bitte, die betreffenden Aussagen nicht zu berücksichtigen, nicht ein. Sie vertraten vielmehr die Ansicht, er habe keine Beweise dafür vorgelegt, dass er gefoltert worden sei. Damit verstießen sie gegen den Grundsatz, dass es Aufgabe der Staatsanwaltschaft ist, zweifelsfrei nachzuweisen, dass Beweise rechtmäßig erlangt wurden. Ruandas gesetzliche Regelungen zu Beweismitteln und deren Erlangung verbieten die Nutzung von unter Folter erpressten Beweisen in Gerichtsverfahren.

Da es sich bei Frank Rusagara und François Kabayiza um pensionierte Armeeangehörige handelte, hatten ihre Rechtsbeistände gefordert, sie nicht vor ein Militärgericht zu stellen, und beantragt, die beiden Verfahren separat zu führen. Der Antrag wurde abgelehnt. Trotz wiederholter Bitten wurde es Frank Rusagara nicht erlaubt, seine Frau in Großbritannien anzurufen, die an Krebs im Endstadium litt und dort im August 2016 starb.

FLÜCHTLINGE UND ASYLSUCHENDE

2016 beantragten nach wie vor burundische Staatsbürger in Ruanda Asyl, allerdings war ihre Zahl im Vergleich zum Jahr 2015 rückläufig. Ende 2016 hatte Ruanda mehr als 80000 Flüchtlinge aus Burundi aufgenommen. Nachdem Vorwürfe laut geworden waren, dass Flüchtlinge in den Lagern in Ruanda rekrutiert und militärisch ausgebildet würden, gab die Regierung im Februar 2016 bekannt, sie wolle die Flüchtlinge aus Burundi in Drittländer umsiedeln. Später stellte die Regierung klar, dass es keine Umsiedlungspläne gebe und sie weiter Flüchtlinge aus Burundi aufnehmen werde.

Es gab weiterhin Berichte, wonach eritreische und sudanesische Asylsuchende von Israel nach Ruanda abgeschoben wurden (siehe Länderbericht Israel und besetzte palästinensische Gebiete). Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu erklärte auf einer Pressekonferenz anlässlich seines Staatsbesuchs in Ruanda am 6. Juli 2016, die betreffenden Personen seien keine Asylsuchenden, sondern "Arbeitssuchende". Präsident Kagame sagte, es gebe zwischen beiden Ländern Gespräche zu diesem Thema.

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