Amnesty Report 09. Juni 2016

Sierra Leone 2016

 

Mindestens 3955 Menschen starben infolge der Ebola-Epidemie. Frauen und Mädchen waren während der Epidemie verstärkt Ausbeutung und Gewalt ausgesetzt. Die Notstandsverordnungen wurden instrumentalisiert, um das Recht der politischen Opposition auf friedliche Versammlungen einzuschränken. Die Polizei musste über ihr Handeln nur selten Rechenschaft ablegen. Mädchen, die sichtbar schwanger waren, wurden diskriminiert und am Schulbesuch sowie am Ablegen von Prüfungen gehindert. Das Gesetz, das Verleumdung unter Strafe stellt, sowie andere Gesetze wurden benutzt, um die Meinungsfreiheit zu unterdrücken.

Hintergrund

Im Mai 2014 brach in Sierra Leone eine Ebola-Epidemie aus, die am 7. November 2015 für beendet erklärt wurde. Die am 30. Juli 2013 begonnene Überprüfung der Verfassung wurde im Jahr 2015 fortgesetzt. Durch die anhaltende Ebola-Epidemie kam es jedoch zu Verzögerungen.

Ebola-Epidemie

Sierra Leone war stark von der in Westafrika grassierenden Ebola-Epidemie betroffen, die im März 2014 ausgebrochen war. Bis Ende 2015 gab es 14 122 bestätigte Ebola-Fälle. Mehr als 300 medizinische Fachkräfte infizierten sich mit dem Virus. Die Epidemie schwächte das ohnehin fragile Gesundheitssystem, was insbesondere die Leistungen im Bereich der Mütter-gesundheit betraf. Sorge herrschte angesichts des Mangels an sicherer medizinischer Ausstattung und der Arbeitsbedingungen des medizinischen Personals. Im August 2015 wurde der Notstand verlängert, einige Bestimmungen wie das Verbot öffentlicher Versammlungen wurden jedoch aufgehoben. Nachdem Sierra Leone für Ebola-frei erklärt worden war, gab der Präsident an, mit dem Parlament über die Aufhebung des Notstands beraten zu wollen.

Willkürliche Inhaftierungen

Zahlreiche Personen wurden auf der Grundlage der Notstandsgesetze von 2014 und der in Verbindung mit ihnen erlassenen Verordnungen, z. B. den Bestimmungen zur Ausgangssperre oder den Ladenöffnungszeiten, willkürlich inhaftiert und strafrechtlich verfolgt. Häufig wurden Personen über den in der Verfassung vorgesehenen Zeitraum hinaus in Untersuchungshaft gehalten. Ende 2015 befanden sich weiterhin zahlreiche Personen in Untersuchungshaft, darunter auch Minderjährige.

Am 21. April 2015 wurden elf Männer nach dem Gesetz über die öffentliche Ordnung aus dem Jahr 1965 und den Notstandsgesetzen von 2014 im Zusammenhang mit Ausschreitungen wegen eines mutmaßlichen Ebola-Falls angeklagt. Auf Anordnung des Präsidenten waren sechs der Männer im Oktober 2014 und die übrigen fünf im Februar und März 2015 festgenommen worden. Die Inhaftierung der Männer stützte sich weder auf Haftbefehle noch auf andere Dokumente. Im Dezember 2015 wurden die Anklagen gegen die elf Männer fallengelassen und sie kamen frei.

Am 6. August 2015 wurden 13 Angehörige der Streitkräfte von dem Vorwurf freigesprochen, in der Tekoh-Kaserne in Makeni eine Meuterei geplant zu haben. Die Männer hatten zwei Jahre im Gefängnis gesessen, davon acht Monate ohne Kontakt zur Außenwelt.

Polizei und Sicherheitskräfte

Die Rechenschaftspflicht der Polizei war nach wie vor unzureichend. Trotz der Empfehlungen von drei unabhängigen Kommissionen zur Untersuchung von Fällen mutmaßlicher rechtswidriger Tötungen seit 2007 wurde kein einziger Polizist strafrechtlich verfolgt. Die Vorwürfe, nach denen die Polizei in zwei weiteren Fällen im Jahr 2014 in Kono widerrechtliche Tötungen begangen haben soll, wurden lediglich oberflächlich untersucht. Es wurden auch Vorwürfe erhoben, nach denen Polizisten 2015 für rechtswidrige Tötungen in Freetown, der Hauptstadt von Sierra Leone, verantwortlich waren. In einem Fall wurden Polizisten nach einem internen Disziplinarverfahren aus dem Dienst entlassen und wegen Totschlags angeklagt. Im Oktober 2015 wurde eine unabhängige Beschwerdestelle für die Polizeiarbeit eingerichtet.

Rechte von Frauen und Mädchen

Frauen und Mädchen waren während der Ebola-Epidemie verstärkt Ausbeutung und Gewalt ausgesetzt. Das seit dem Jahr 2012 geltende Gesetz zur Bekämpfung von Sexualstraftaten wurde von der Polizei noch immer nicht angemessen umgesetzt. Die Opfer sexueller und häuslicher Gewalt hatten nur eingeschränkt Zugang zu rechtlicher Unterstützung, Schutzunterkünften und Rehabilitierungsleistungen. Eine medizinische Versorgung der Opfer sexueller Gewalt war aus rechtlichen Gründen und wegen der damit verbundenen Kosten ebenfalls nicht möglich.

Das Gleichstellungsgesetz, das für Parlament, Stadträte, Ministerien und Behörden eine Frauenquote von mindestens 30% vorsieht, war nach wie vor nicht rechtskräftig. Im Juli 2015 ratifizierte Sierra Leone das Maputo-Protokoll für die Rechte der Frauen in Afrika (Protokoll zu der Afrikanischen Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker über die Rechte der Frauen in Afrika). Maßnahmen zur Umsetzung der Bestimmungen des Protokolls standen noch aus.

Im Dezember 2015 verabschiedete das Parlament ein Gesetz über sichere Schwangerschaftsabbrüche.

Bildung

Im März 2015 schloss das Bildungsministerium schwangere Schülerinnen vom Schulbesuch und von der Teilnahme an Prüfungen aus. Diese Maßnahme führte zu der Stigmatisierung von etwa 10 000 Mädchen und stellte einen Verstoß gegen deren Recht auf Bildung und Schutz vor Diskriminierung dar. Diese Maßnahme schien auf diskriminierenden Ansichten und negative Stereotypen hinsichtlich schwangerer Mädchen zu beruhen. In einigen Schulen wurde der Beschluss durch Demütigungen und erniedrigende Behandlung der betroffenen Mädchen umgesetzt.

Rechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit

Im Februar 2015 wurde Mamoud Tim Kargbo unter dem Gesetz über öffentliche Ordnung von 1965 wegen Verleumdung in fünf Fällen angeklagt, weil er eine WhatsApp-Nachricht, die als Verunglimpfung des Präsidenten bewertet wurde, weitergeleitet hatte. Er wurde 52 Tage in Gewahrsam gehalten, während seines Verfahrens gegen Kaution freigelassen und schließlich am 28. Juli 2015 freigesprochen.

Die Rechte auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit waren während des Notstands unverhältnismäßig stark eingeschränkt. Nachdem Vizepräsident Samuel Sam-Sumana am 17. März aus dem Amt entlassen worden war, wurden in Sierra Leone verstärkt Angehörige der Opposition festgenommen und friedliche Proteste verboten. Gegen abweichende Meinungen wurde hart vorgegangen.

Am 27. April 2015 wurden in der Stadt Kemena 15 Mitglieder der Volkspartei von Sierra Leone – der größten Oppositionspartei – und ein leitender Mitarbeiter der Menschenrechtskommission nach einem Protest vor dem Büro der Partei festgenommen. Das Verfahren gegen sie war Ende 2015 noch nicht abgeschlossen. Es bestand die Sorge, dass die Polizei bei den Festnahmen exzessive Gewalt angewandt hatte.

Im August 2015 setzte die Unabhängige Medienkommission die Übertragung der Radiosendung Monologue des Journalisten David Tam Baryoh aus. Grund dafür waren Vorwürfe, die Sendung würde die nationale Sicherheit gefährden sowie zu Gewalt und zur Störung der öffentlichen Ordnung anstiften. Im Oktober erhielt er eine Geldstrafe in Höhe von 500 000 Leone (etwa 100 Euro), wogegen er Rechtsmittel einlegte.

Im Dezember 2015 wurde der leitende Redakteur der Zeitung Independent Observer, Jonathan Leigh, festgenommen. Man warf ihm vor, falsche Informationen zu Berichten über politisch motivierte Gewalt vor einer Nachwahl veröffentlicht zu haben. Nach vier Tagen in Haft kam er gegen Kaution frei. Sein Verfahren war Ende 2015 noch anhängig.

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