Amnesty Report Nicaragua 08. Juni 2016

Nicaragua 2016

 

Die Aktivitäten von Menschenrechtsverteidigern und Gruppen von Indigenen und Afro-Nicaraguanern hatten Drohungen und Einschüchterungen zur Folge, und zwar insbesondere im Kontext öffentlicher Protestaktionen. Nachrichtenmedien und zivilgesellschaftliche Organisationen wurden schikaniert. Als Folge eines sich zuspitzenden Landkonflikts an der nordkaribischen Küste wurden mehrere Menschen getötet und Hunderte vertrieben. Gewalt gegen Frauen war nach wie vor weit verbreitet. Das absolute Abtreibungsverbot blieb in Kraft.

Hintergrund

Die Partei Frente Sandinista de Liberación Nacional (FSLN) kontrollierte weiterhin maßgeblich alle Regierungsbereiche. Im November 2015 billigte die Regierung offiziell eine Umweltverträglichkeitsstudie, mit der grünes Licht für ein großes Infrastrukturprojekt gegeben wurde: einen Kanal, der unter der Bezeichnung "Großer Interozeanischer Kanal" (Gran Canal Interoceánico) bekannt ist und den Atlantischen mit dem Pazifischen Ozean verbinden soll. Wegen finanzieller Engpässe war es jedoch noch ungewiss, ob und wann mit dem Bau begonnen wird.

Landkonflikte und Rechte indigener Bevölkerungsgruppen

Im September 2015 eskalierte ein langjähriger Konflikt zwischen der indigenen Gemeinschaft der Miskito und Siedlern (colonos), die versuchen, das angestammte Land der indigenen Gemeinschaft in Besitz zu nehmen. Daraufhin forderte die Interamerikanische Menschenrechtskommission Nicaragua auf, den Miskito Schutzmaßnahmen zu gewähren. Die nichtstaatliche Menschenrechtsorganisation Centro por la Justicia y los Derechos Humanos de la Costa Atlántica de Nicaragua berichtete, dass zwischen 2013 und 2015 insgesamt 24 Angehörige der Miskito getötet, 30 tätlich angegriffen und Hunderte vertrieben worden waren.

Berichten des Nicaraguanischen Zentrums für Menschenrechte (Centro Nicaragüense de Derechos Humanos – CENIDH) zufolge wurden Indigene, Afro-Nicaraguaner und andere betroffene Bevölkerungsgruppen, die gegen den "Großen Interozeanischen Kanal" protestierten, eingeschüchtert, angegriffen und willkürlich festgenommen. Im Oktober 2015 errichteten Polizisten eine Straßensperre, um Tausende von Kleinbauern (campesinos) daran zu hindern, gegen den Bau des Kanals zu protestieren. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Fundación Popol Na griffen regierungsnahe Gruppen mehrere Protestierende an. Die Demonstrierenden warfen der Regierung vor, die Lizenz für den Kanalbau vergeben zu haben, ohne zuvor die indigene Bevölkerung, die dadurch ihr angestammtes Land verlieren könnte, darüber in Kenntnis gesetzt und ihre freiwillige Zustimmung eingeholt zu haben.

Nach Informationen des CENIDH wurden auch Aktivisten, die gegen Bergbauprojekte in Nicaragua protestierten, eingeschüchtert und drangsaliert.

Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit

Regierungsbeamte und deren Gefolgsleute versuchten, die Arbeit von zivilgesellschaftlichen Organisationen und Medien, die der Regierungspartei FSLN kritisch gegenüberstanden, zu unterdrücken und zu stigmatisieren. Im Mai 2015 verweigerten die Behörden zwei Mitgliedern der regionalen Menschenrechtsorganisation Zentrum für Gerechtigkeit und Völkerrecht (Centro por la Justicia y el Derecho Internacional), die an einer Veranstaltung über Menschenrechte teilnehmen wollten, bei ihrer Ankunft am Flughafen der Hauptstadt Managua die Einreise nach Nicaragua und schickten sie zurück. Es gab keine offizielle Begründung für diese Maßnahme.

Frauenrechte

Im Oktober 2015 äußerten nicaraguanische und regionale Menschenrechtsorganisationen in einer Anhörung vor der Interamerikanischen Menschenrechtskommission ihre Besorgnis über die gegen Frauen und Mädchen verübten Menschenrechtsverstöße. Thematisiert wurden u. a. das absolute Abtreibungsverbot und die Hindernisse, denen sich Frauen und Mädchen, die Opfer von Gewalt oder Misshandlung werden, beim Zugang zur Justiz gegenübersehen. Das Nicaraguanische Frau-ennetzwerk gegen Gewalt (Red de Mujeres Contra la Violencia Nicaragua) berichtete, dass in der ersten Jahreshälfte 2015 insgesamt 35 Frauen und Mädchen ermordet worden seien, während im gleichen Zeitraum des Vorjahres noch 47 Frauen und Mädchen dem im Strafgesetzbuch als "Femizid" bezeichneten Verbrechen zum Opfer gefallen waren. NGOs zeigten sich jedoch besorgt über die im Jahr 2013 verabschiedeten Reformen, die die Wirksamkeit des Allgemeinen Gesetzes über Gewalt gegen Frauen (Ley Integral contra la Violencia hacia las Mujeres – Ley 779) abschwächten. Im Rahmen der Reformen wird Frauen in einigen Fällen häuslicher Gewalt ein Mediationsverfahren mit ihren gewalttätig gewordenen Partnern als Lösung angeboten.

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