Amnesty Report Venezuela 22. Mai 2013

Venezuela 2013

Amtliche Bezeichnung: 
Bolivarische Republik Venezuela Staats- und Regierungschef: Hugo Chávez Frías

Die Zahl der Gewaltverbrechen, insbesondere unter Einsatz von Waffen, war nach wie vor hoch, trotz der Bemühungen, die Verfügbarkeit und den Gebrauch von Schusswaffen zu kontrollieren. Gewalt in Gefängnissen blieb weit verbreitet, und es kam erneut zu Aufständen. Die Regierung begann ihren Rückzug aus dem Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Hintergrund

Die Lage der Menschenrechte in Venezuela wurde im Rahmen der Universellen Regelmäßigen Überprüfung durch den UN-Menschenrechtsrat überprüft, dessen Bericht im März 2012 angenommen wurde. Venezuela hatte zuvor mehrere der Empfehlungen, darunter auch die zu Menschenrechtsverteidigern, akzeptiert. So verpflichtete sich das Land, die Aktivitäten von Menschenrechtsverteidigern zu unterstützen und ihre Rolle öffentlich anzuerkennen. Venezuela hatte jedoch auch mehrere Empfehlungen zurückgewiesen, darunter die, einen Nationalen Menschenrechtsplan auszuformulieren und ständige Einladungen an regionale und internationale Menschenrechtsmechanismen und -organisationen auszusprechen.

Im November wurde Venezuela Mitglied im UN-Menschenrechtsrat und verpflichtete sich damit zur Kooperation mit dem besonderen Verfahren und dem universellen System zur Förderung und zum Schutz der Menschenrechte. Ende 2012 stand die Ratifizierung von mehreren internationalen Menschenrechtsinstrumenten noch aus, ebenso wie die Zusage für den Besuch von sechs UN-Sonderberichterstattern.

Im Oktober 2012 fanden die Präsidentschaftswahlen statt. Der Wahltag verlief im Großen und Ganzen friedlich. Etwa 81% der Wähler gingen an die Urnen, sodass eine der höchsten Wahlbeteiligungen in der Geschichte Venezuelas erreicht wurde. Der amtierende Präsident Hugo Chávez Frías wurde zum dritten Mal für sechs Jahre gewählt.

Öffentliche Sicherheit

Venezuelas Mordrate war eine der höchsten in Lateinamerika, u.a. aufgrund des ungehinderten Zugangs zu Schusswaffen und Munition. Bedenken bestanden auch hinsichtlich des Schusswaffengebrauchs der Polizei. Laut einem Bericht des Generalrats der Nationalpolizei (Consejo General de Policía), einer Aufsichtsbehörde der Polizei, setzten 80% der polizeilichen Institutionen Waffen ein, die den institutionellen Richtlinien nicht entsprachen. Der Mangel an anderen offiziellen und genauen Informationen zur Gewalt, insbesondere zu Verletzungen durch Schusswaffen, gab weiter Anlass zur Sorge.

2012 führte die Präsidiale Kommission für Waffenkontrolle, Munition und Entwaffnung (Comisión Presidencial para el Control de Armas, Municiones y Desarme) eine Untersuchung und Befragung der Öffentlichkeit durch und startete öffentliche Kampagnen, um die Menschen zu ermutigen, freiwillig ihre Schusswaffen abzugeben. Die neue Sicherheitsinitiative der Regierung, "Gran Misión a Toda Vida Venezuela", verpflichtete sich, die Aufgabe der Entwaffnung fortzusetzen und ein nationales Unterstützungssystem für die Opfer von Waffengewalt zu schaffen.

2012 wurden Kleinwaffen in bestimmten öffentlichen Bereichen verboten und ein neues Registrierungssystem eingerichtet, um die Kontrolle der vorhandenen Schusswaffen zu verbessern. Menschen, die kleine Schusswaffen besaßen, wurden ermutigt, sie registrieren zu lassen. Ferner wurden ein Jahr lang keine neuen Lizenzen für das Tragen von Schusswaffen vergeben. Ende 2012 lag dem Kongress ein Gesetzentwurf zur Waffenkontrolle vor.

Haftbedingungen

In den Gefängnissen kam es weit verbreitet
zu Ausbrüchen von Gewalt. Mindestens 591 Menschen wurden 2012 in venezolanischen Gefängnissen getötet. Schusswaffen, Sprengstoff und andere Waffen wurden weiterhin regelmäßig bei Zusammenstößen in Gefängnissen eingesetzt.

  • Im Juli führte die Ankündigung einer Verlegung von Insassen des Andina-Gefängnisses im Bundesstaat Mérida in andere Gefängnisse zu einem 20-tägigen Aufstand mit 17 Toten.

  • Im August kamen bei einem Gewaltausbruch im Yare-Gefängnis 26 Menschen zu Tode und 43 wurden verletzt.

Menschenrechtsverteidiger

Regierungsbeamte und die staatlichen Medien erhoben haltlose Vorwürfe gegen Menschenrechtsverteidiger mit dem Ziel, ihrer Arbeit die Legitimation zu entziehen. Darüber hinaus kam es zu tätlichen Angriffen gegen Menschenrechtsverteidiger; die Verantwortlichen wurden nicht zur Rechenschaft gezogen.

  • Im Mai 2012 wurde Marianela Sánchez Ortiz von der Venezolanischen Beobachtungsstelle für den Strafvollzug (Observatorio Venezolano de Prisiones – OVP) bedroht. Ihr Mann, Hernán Antonio Bolívar, wurde mit Waffengewalt entführt. Man forderte ihn auf, seine Frau davor zu warnen, sich weiterhin über die Haftbedingungen zu beschweren und die Regierung zu kritisieren, andernfalls müssten sie und ihre Familie mit Vergeltungsmaßnahmen rechnen. Regierungsbeamte warfen dem OVP außerdem vor, Informationen über Gefängnisse gefälscht zu haben, um Gelder US-amerikanischer Förderer zu erhalten.

Straflosigkeit

  • Im Dezember 2012 wurde Jorge Antonio Barrios Opfer eines Anschlags im Bundesstaat Aragua. Er war das neunte Mitglied der Familie Barrios, das seit 1998 unter Umständen getötet wurde, die eine Beteiligung der Polizei nahelegt. Die Tötungen fanden weiter statt, obwohl das interamerikanische Menschenrechtssystem Venezuela seit 2004 aufgefordert hatte, sicherzustellen, dass die Familie geschützt wird, und die Verantwortlichen vor Gericht zu stellen.

Unabhängigkeit der Justiz

  • Die Richterin Maria Lourdes Afiuni Mora stand 2012 weiter unter Hausarrest. Im September fuhren Unbekannte an dem Haus vorbei, in dem sie lebt, und eröffneten das Feuer auf ihr Apartment. Im November teilte Maria Lourdes Afiuni der Öffentlichkeit mit, dass sie während ihres Aufenthalts im Gefängnis vergewaltigt worden sei. Die Richterin war im Dezember 2009 festgenommen und über ein Jahr in Haft festgehalten worden. Sie wurde beschuldigt, Verbrechen wie Korruption, Amtsmissbrauch und Bildung einer kriminellen Vereinigung begangen zu haben. Maria Lourdes Afiuni hatte die an Bedingungen geknüpfte Freilassung eines Bankmanagers angeordnet, der über zwei Jahre in Gewahrsam auf sein Gerichtsverfahren gewartet hatte. Diese Entscheidung lag in ihrem Zuständigkeitsbereich und stand in Übereinstimmung mit dem venezolanischen Recht.

Internationale Kontrolle

Im Mai 2012 kündigte Präsident Hugo Chávez mit Unterstützung der Nationalversammlung und des Obersten Gerichtshofs an, sich aus dem interamerikanischen System für Menschenrechte zurückzuziehen. Im September widerrief Venezuela offiziell die Unterzeichnung der Amerikanischen Menschenrechtskonvention und leitete damit seinen Rückzug vom Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte ein. In der Folge können von Menschenrechtsverletzungen Betroffene ab September 2013 keine Beschwerden mehr vor dem höchsten Gericht des amerikanischen Kontinents einlegen. Venezuela wird jedoch Mitglied der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) bleiben und daher auch in Zukunft von der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte beobachtet werden.

Gewalt gegen Frauen und Mädchen

Die Ausführungsbestimmungen zur Umsetzung des 2007 erlassenen Gesetzes über das Recht der Frauen auf ein Leben ohne Gewalt (Ley Orgánica sobre el Derecho de las Mujeres a una Vida Libre de Violencia) durch die Behörden standen weiter aus.

  • Im Fall von Alexandra Hidalgo fanden 2012 Anhörungen statt. Sie war 2004 von einer Gruppe von Männern, darunter auch ihr Ex-Ehemann, vergewaltigt und gefoltert worden. Im Oktober wurde entschieden, dass sich ihr Ehemann wegen Entführung und Vergewaltigung vor Gericht verantworten muss.

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