Amnesty Report Rumänien 04. Mai 2012

Rumänien 2012

 

Amtliche Bezeichnung: Rumänien Staatsoberhaupt: Traian Basescu Regierungschef: Emil Boc Todesstrafe: für alle Straftaten abgeschafft Einwohner: 21,4 Mio. Lebenserwartung: 74 Jahre Kindersterblichkeit: 11,9 pro 1000 Lebendgeburten Alphabetisierungsrate: 97,7%

Lokale Behörden waren für die Diskriminierung von Roma verantwortlich. Eine deutsche Tageszeitung veröffentlichte neue Beweise für die Verwicklung Rumäniens in das CIA-Programm für außerordentliche Überstellungen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ersuchte die Regierung, Auskunft bezüglich der Rechtssache eines Mannes zu erteilen, der in einem psychiatrischen Krankenhaus mutmaßlich infolge von Misshandlung gestorben war.

Hintergrund

Ein neues Arbeitsgesetzbuch, das eingeführt worden war, um die Bedingungen zur Gewährung eines Kredits des Internationalen Währungsfonds und der Europäischen Kommission zu erfüllen, führte zu Kritik seitens der Gewerkschaften, zu landesweiten Protesten und am 16. März 2011 zu einem erfolglosen fünften Misstrauensvotum gegen die Regierung. Die Gewerkschaften wiesen darauf hin, dass das Gesetz den Schutz der Arbeitnehmerrechte abbaue und einer großen Anzahl von Arbeitnehmern das Recht auf gewerkschaftliche Vertretung vorenthalte. Die im Jahr 2009 eingeführten Sparmaßnahmen zogen auch das Gesundheitssystem in Mitleidenschaft. Bis zum 1. April 2011 waren 67 Krankenhäuser geschlossen worden, was zu der Befürchtung Anlass gab, der ungehinderte Zugang zu Gesundheitsfürsorge könne gefährdet sein.

Diskriminierung – Roma

Die Gesetzesvorlage, die vorsah, die offizielle Bezeichnung für die Minderheit der Roma in "Tigan" (Zigeuner) abzuändern, wurde zunächst im Februar 2011 vom Senatsausschuss für Menschenrechte und Chancengleichheit befürwortet. Am 9. Februar lehnte der Senat den Vorschlag jedoch ab. Am 5. April verwarf auch die Abgeordnetenkammer des Parlaments den Vorschlag. NGOs hatten die Gesetzesvorlage wegen der negativen Besetzung des Begriffs "Tigan" kritisiert.

Die Verwendung ethnischer Stereotypisierungen durch den Präsidenten und andere hochrangige Beamte führte weiterhin zu Besorgnis. Im Juni wies die Gleichbehandlungsstelle – der Nationale Rat zur Bekämpfung von Diskriminierung (National Council for Combating Discrimination – NCCD) – eine Klage wegen mutmaßlich diskriminierender Bemerkungen ab, die der Präsident während eines offiziellen Besuchs in Slowenien im November 2010 über Roma gemacht hatte. Der NCCD befand, dass die Antidiskriminierungsgesetze auf Handlungen außerhalb des staatlichen Territoriums nicht anwendbar seien. Im Oktober 2011 ermahnte der NCCD den Präsidenten zweimal wegen seiner im Fernsehen gemachten Bemerkungen über Roma. Der Rat befand, dass diese Äußerungen gegen die Antidiskriminierungsgesetze verstießen.

  • Im Juli errichteten die Behörden der Stadt Baia Mare im Nordwesten des Landes eine Betonmauer, die die von Roma bewohnten Häuserblocks vom Rest des Wohngebiets abtrennten. NGOs protestierten gegen den Bau und wiesen darauf hin, dass diese Maßnahme diskriminierend sei und ein Ghetto schaffe. Die Stadtverwaltung wies den Vorwurf zurück und behauptete, die Mauer solle dazu dienen, die Bewohner der Wohnblocks vor Verkehrsbelästigungen zu schützen. Im November erklärte der NCCD, dass der Bau der Mauer den Tatbestand der Diskriminierung erfülle. Der Stadtverwaltung wurde eine Geldstrafe in Höhe von 6000 neuen Rumänischen Lei (ca. 1300 Euro) auferlegt. Der NCCD empfahl der Stadtverwaltung, die Mauer niederzureißen und Maßnahmen zur Verbesserung der Wohnsituation der Roma zu ergreifen.

Recht auf Bildung

Im August 2011 befand der NCCD, dass die Trennung von Roma- und Nichtroma-Kindern in einer Schule in der Stadt Craiova sowohl eine direkte als auch eine indirekte Diskriminierung darstelle. Die Gleichbehandlungsstelle hatte die Situation ursprünglich nur teilweise untersucht. Nachdem die NGO Romani CRISS Einspruch eingelegt hatte, ordnete der Oberste Gerichtshof an, den Fall ein weiteres Schuljahr lang zu untersuchen. Die Untersuchung kam zu dem Ergebnis, dass direkte Diskriminierung stattfand.

Recht auf angemessenes Wohnen

Berichten zufolge versuchten 2011 mehrere Stadtverwaltungen, informelle Roma-Siedlungen unter Anwendung von Zwang zu räumen.

  • Im August kündigte der Bürgermeister der Stadt Baia Mare für mehrere Stadtgebiete einen Plan zur Vertreibung von Hunderten Roma und anderen sozial benachteiligten Personen an, die nicht als Bewohner von Baia Mare registriert waren. Sie sollten in ihre Herkunftsorte zurückgeschickt werden. Nationale und internationale NGOs sowie ausländische Botschaften im Land kritisierten diesen Plan umgehend. Schließlich wurde die Zwangsräumung gestoppt. Im September sagte der Bürgermeister, dass die Stadtverwaltung das nationale Recht und die internationalen Menschenrechtsstandards achten werde.

  • Am 19. September lehnte das Gericht von Cluj-Napoca das Gesuch der Nationalen Eisenbahngesellschaft ab, die Unterkünfte von rund 450 Roma, darunter 200 Kinder, in einer Siedlung an der Cantonului-Straße in den Außenbezirken der Stadt Cluj-Napoca abzureißen. Berichten zufolge hatten die städtischen Behörden im Jahr 2000 einige Familien in dieses Gebiet umgesiedelt. Manche Bewohner hatten eine mündliche Vereinbarung mit der Stadtverwaltung geschlossen, dort ihre Unterkünfte zu bauen, andere besaßen von der Stadtverwaltung ausgestellte Mietverträge.

  • Am 15. November urteilte der NCCD, dass die Umsiedlung von Roma aus der im Zentrum von Cluj-Napoca gelegenen Coastei-Straße in die Außenbezirke, und zwar in die Nähe einer Mülldeponie im Gebiet Pata Rât, einen Fall von Diskriminierung darstelle, und verurteilte die Stadtverwaltung zur Zahlung einer Geldstrafe in Höhe von 8000 neuen Rumänischen Lei (ca. 1800 Euro). Die Behörden waren mit der Entscheidung nicht einverstanden und erklärten, dass die Räumung kein Akt der Diskriminierung sei. Die Beschwerde gegen die Stadtverwaltung war von der lokalen Arbeitsgruppe Zivilgesellschaftlicher Organisationen ausgegangen, die im Jahr 2010 als Reaktion auf die Vertreibung aus der Coastei-Straße gegründet worden war.

Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgendern.

Das neue Zivilgesetzbuch, das am 1. Oktober 2011 in Kraft trat, verbietet gleichgeschlechtliche Partnerschaften und Ehen. Es führt auch die Aberkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften und Ehen ein, die in anderen Ländern rechtlich anerkannt sind.

Antiterror- und Sicherheitsmaßnahmen

Im November 2011 ersuchte der Europäische Ausschuss zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe die rumänischen Behörden, Auskunft darüber zu erteilen, warum sie keine Untersuchungen zur mutmaßlichen Existenz geheimer, im Rahmen des CIA-Programms für außerordentliche Überstellungen und Geheimgefängnisse genutzter Haftzentren durchgeführt habe. Die Regierung behauptete, dass es weder Beweise für eine Verwicklung in das CIA-Programm für außerordentliche Überstellungen noch für die Existenz geheimer Haftzentren auf rumänischem Hoheitsgebiet gebe.

Am 8. Dezember veröffentlichte die Süddeutsche Zeitung neue Beweise dafür, dass die CIA in europäischen Staaten, darunter Rumänien, in den Jahren nach den Anschlägen vom 11. September 2001 "Terrorverdächtige" gefoltert und außerordentliche Überstellungen durchgeführt habe.

Folter und andere Misshandlungen

Psychiatrische Einrichtungen Es gab Forderungen, die Lebensbedingungen und Behandlung von Patienten in psychiatrischen Einrichtungen zu untersuchen.

  • Im Juni 2011 ersuchte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die rumänische Regierung um Vorlage von Informationen über den Fall Valentin Câmpeanu, einen psychisch kranken HIV-positiven Roma-Angehörigen, der im Jahr 2004 im psychiatrischen Krankenhaus von Poiana Mare gestorben war. Die offizielle Untersuchung seiner Todesumstände wies offensichtlich Verfahrensmängel auf. Sie führte zu keinerlei Anklage gegen das Personal der Einrichtungen, in denen Valentin Câmpeanu während der letzten Monate seines Lebens untergebracht war. Der Fall war von den NGOs Centre for Legal Resources und INTERIGHTS vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gebracht worden. Sie hatten den Gerichtshof aufgefordert, seine Zulassungskriterien so zu gestalten, dass NGOs ein Klagerecht im Namen einer behinderten Person erhalten, auch wenn diese keine spezifische Genehmigung erteilt hat. Die NGOs argumentierten, dass die unangemessenen Pflege- und Lebensbedingungen in dem psychiatrischen Krankenhaus in direkter Weise dazu beigetragen hätten, dass Valentin Câmpeanu gestorben sei.

Amnesty International: Missionen und Berichte

Delegierte von Amnesty International besuchten Rumänien in den Monaten April, Juni, September, Oktober und November.

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