Amnesty Report Asien und Pazifik 11. Mai 2011

Asien und Pazifik 2011

"Ich bin unschuldig und werde das beweisen. Ich werde wieder freikommen und meine Arbeit für die Menschenrechte und das Recht auf Gesundheit der Adivasi in Chhattisgarh wieder aufnehmen, ungeachtet der Gefahren, denen ich und andere Menschenrechtsverteidiger ausgesetzt sind."

Menschenrechtsverteidiger Dr. Binayak Sen im Gespräch mit Amnesty International am 24. Februar 2010

In einer Region, in der fast zwei Drittel der Weltbevölkerung beheimatet sind und die sich über ein Drittel der Welt erstreckt, beherrschten im Jahr 2010 einzelne prominente Menschenrechtsverteidiger wie Binayak Sen weiterhin die Schlagzeilen und beeinflussten nationale und geopolitische Ereignisse, weil sie den Mut aufbrachten, die Machthaber mit der Wahrheit zu konfrontieren. Die Ereignisse offenbarten die Schlüsselrolle mutiger Einzelpersonen, die forderten, dass die Würde der Menschen geachtet und ihnen Respekt gezollt wird. Sie machten aber auch deutlich, welch hohen Preis diese Menschenrechtsverteidiger zu zahlen haben, und unterstrichen die Notwendigkeit weltweiter Solidarität mit ihnen.

50 Jahre nachdem Amnesty International mit dem Auftrag gegründet wurde, die Rechte von Menschen zu schützen, die nur deshalb festgenommen wurden, weil sie offen ihre Meinung äußerten, reagierten Regierungen der asiatisch-pazifischen Region auf Kritiker immer noch regelmäßig mit Einschüchterung, Inhaftierung, Misshandlung und sogar mit deren Ermordung. Die von den Regierungen ausgeübte Repression unterschied nicht zwischen den Menschen, die bürgerliche und politische Rechte einforderten, und denjenigen, deren Beschwerden die Verletzung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte zur Ursache hatten. Das Jahr 2010 brachte aber auch gute Nachrichten. Mitte November feierte man weltweit zusammen mit den Menschen in Myanmar die Freilassung von Daw Aung San Suu Kyi nach Verbüßung ihrer Strafe. Sie hatte 15 der letzten 21 Jahre entweder unter Hausarrest oder im Gefängnis verbracht.

Über viele Jahre hinweg unterschied sich Aung San Suu Kyi von allen anderen Friedensnobelpreisträgern durch die Tatsache, dass sie den Preis in Haft erhalten hatte. Im Dezember teilte sie diese unerwünschte Sonderstellung für kurze Zeit mit dem chinesischen Schriftsteller und Dissidenten Liu Xiaobo, der als Mitverfasser der Charta 08, einem Manifest für politische Reformen und Demokratisierung in China, eine Gefängnisstrafe verbüßt.

Die chinesische Regierung reagierte auf die Preisverleihung an Liu Xiaobo mit dem – erfolglosen – Versuch, die norwegische Regierung dazu zu bewegen, die Auszeichnung rückgängig zu machen. Als dies scheiterte, übte China auf mehrere Regierungen Druck aus oder versuchte, diese zu überreden, nicht an der Zeremonie der Preisverleihung teilzunehmen. Letztendlich war der Festakt gut besucht. Doch Liu Xiaobo musste im Gefängnis bleiben, seine Frau stand unter Hausarrest, und anderen Familienmitgliedern und befreundeten Menschenrechtsverteidigern untersagte man, nach Oslo zu reisen, um den Preis in Empfang zu nehmen oder an den Feierlichkeiten teilzunehmen. Es war das erste Mal seit 1936, als die Naziregierung in Deutschland Carl von Ossietzky daran hinderte, an der Verleihung teilzunehmen, dass bei der Feierlichkeit weder der Preisträger noch ein Vertreter den Preis entgegennehmen konnte. Die Nominierung Liu Xiaobos und die gereizte Reaktion der chinesischen Regierung warfen ein Schlaglicht auf die andauernden und sogar zunehmenden Versuche Chinas der letzten drei Jahre, Regierungskritiker zum Schweigen zu bringen.

Zum Jahresende verurteilte ein bundesstaatliches Gericht in Indien Binayak Sen zu lebenslanger Haft. Binayak Sen, ein gewaltloser politischer Gefangener, Arzt und Menschenrechtsverteidiger, übt seit langem sowohl an der indischen Regierung als auch an den bewaffneten maoistischen Gruppen Kritik wegen der eskalierten Gewalt in Zentralindien. Sein Gerichtsverfahren war politisch motiviert, wies schwere Verfahrens- und Beweismängel auf und wurde von Beobachtern innerhalb und außerhalb Indiens auf das Schärfste kritisiert. Trotzdem verurteilte ein Gericht im Bundesstaat Chhattisgarh Binayak Sen wegen Aufwiegelung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Als rechtliche Grundlage diente dasselbe fragwürdige Gesetz, mit dem die britische Kolonialregierung auch Mahatma Gandhi verurteilt hatte.

Aung San Suu Kyi, Liu Xiaobo und Binayak Sen – sie alle sind zwar Symbolfiguren des Widerstands gegen Unrecht und Demütigung, gleichzeitig aber auch Menschen, die die Entbehrungen der Haft deutlich zu spüren bekommen. Sie mögen im Zentrum der internationalen Aufmerksamkeit stehen und sogar von ihr profitieren, nichtsdestotrotz verstoßen die Behörden gegen ihre Rechte, und ihre Familienangehörigen und Mitstreiter werden Drohungen und Schikanen ausgesetzt. Somit unterscheidet sich ihre Lage nicht von der tausender anderer Bürgerrechtler und Menschenrechtsverteidiger, die in der asiatisch-pazifischen Region ebenfalls unter Verfolgung leiden, ohne dass ihnen Medien und politische Entscheidungsträger Beachtung schenken.

Meinungsfreiheit

Schon ein flüchtiger Blick auf die Ereignisse des Jahres 2010 zeigt, dass viele Journalisten und Bürgerrechtler aus der asiatisch-pazifischen Region ihr Leben und ihre Gesundheit aufs Spiel gesetzt haben, um Regierungen und andere mächtige Akteure aufzufordern, ihrer Pflicht nachzukommen, die Rechte und die Würde aller Menschen zu respektieren. Viele, die es wagten, ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrzunehmen, mussten als Konsequenz die Verletzung ihrer bürgerlichen und politischen Rechte in Kauf nehmen. Paradoxerweise waren es oft erst diese Verletzungen der bürgerlichen und politischen Rechte, die Schlagzeilen machten, und nicht die komplexen Ursachen, die den Anlass zu Beschwerden und Kritik gegeben hatten. Häufig handelte es sich dabei um eine Verletzung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte.

Die meisten Regierungen der Region waren sich trotz politischer, religiöser, ethnischer und kultureller Unterschiede und ungeachtet der Gründe für den Dissens einig in dem Bestreben, Kritik zu unterbinden. Und sie begründeten diese Versuche routinemäßig auch überall mit der "nationalen Sicherheit" oder der Notwendigkeit zur Aufrechterhaltung von Harmonie und Stabilität.

Die Regierung von Nordkorea, die mit schweren wirtschaftlichen Problemen und zunehmenden politischen Spannungen mit ihren Nachbarn konfontiert wurde, kontrollierte das Nachrichtenwesen des Landes aufs Strengste. Vitit Muntarbhorn, UN-Sonderberichterstatter über die Menschenrechtssituation in der Demokratischen Volksrepublik Korea, beendete seine Amtszeit mit einer kategorischen Verurteilung der weltweit einzigartigen Missachtung fast aller international anerkannten Menschenrechte in diesem Land. Die Regierung ignorierte die Rechte auf freie Meinungsäußerung und eine organisierte Zivilgesellschaft, und sie verhängte selbst für den Versuch, Informationen aus nicht zugelassenen Quellen, wie z.B. über Kurzwellenradio, zu erhalten, schwere Strafen.

Nur wenige Regierungen versuchten, ein derartiges Ausmaß an Kontrolle über den Meinungsaustausch ihrer Bürger sicherzustellen. Die Regierung in Myanmar unternahm sogar den Versuch, ihr innerhalb und außerhalb des Landes angeschlagenes Ansehen zu verbessern, indem sie im November Parlamentswahlen abhielt und uniformierte Militärherrscher durch zivile Machthaber ersetzte, wobei es sich aber häufig um dieselben Personen handelte. Die Wahlen wurden weithin als problematisch angesehen, da die Wähler keine Möglichkeit hatten, vorab über die Zukunft des Landes zu diskutieren, und weil viele, wenn nicht sogar die meisten, potenziell regimekritische Kandidaten daran gehindert wurden, sich zur Wahl zu stellen.

Die Regierung von Myanmar mag versucht haben, die massive internationale und regionale Kritik zu beschwichtigen, indem sie Aung San Suu Kyi nur eine Woche nach den Parlamentswahlen freiließ. Aber die anhaltende Inhaftierung tausender Gefangener, von denen viele unter grauenvollen Bedingungen festgehalten werden, stand jedem Anspruch auf wirkliche Zugeständnisse entgegen. Es ist seit langem bekannt, dass die Machthaber Myanmars etwa 2200 politische Oppositionelle inhaftiert halten, von denen viele die Ziele von Aung San Suu Kyi und ihrer Partei, der Nationalen Liga für Demokratie, unterstützen. Doch die von Amnesty International im Jahr 2010 durchgeführten Recherchen zeigten auch, wie Myanmars Militärherrscher auch regierungskritische Meinungen unter den zahlreichen ethnischen Minderheiten des Landes überwachten und bestraften. Diese Minderheitsgruppen sind seit langem von der Machtteilhabe ausgeschlossen und mussten zusehen, wie das traditionell von ihnen bewohnte Land und die Erträge ihrer Arbeit unter Anwendung von Gewalt enteignet wurden.

Auch in den meisten anderen Ländern der Region versuchten die Machthaber, Kritik zu unterbinden, obwohl sich traditionelle und neue Formen der Meinungsäußerung ausbreiteten. Beispielsweise wurden in Vietnam mehr als ein Dutzend Bürgerrechtler in unfairen Gerichtsverfahren nur deshalb verurteilt, weil sie friedlich Kritik an der Regierungspolitik zum Ausdruck gebracht hatten. Die meisten der Verurteilten waren auf der Grundlage vager und unzureichend definierter Gesetze über die "nationale Sicherheit" angeklagt worden.

Chinas Regierung übte intensiven Druck auf einige ethnische Minderheitsgruppen aus, insbesondere auf die Tibeter, aber auch auf die Uiguren, eine hauptsächlich muslimische Bevölkerungsgruppe aus der an Bodenschätzen reichen Region Xinjiang. Auch wenn seit den gewaltsamen Ausschreitungen in Xinjiang mehr als ein Jahr vergangen war, so verfolgten die chinesischen Behörden auch weiterhin uigurische Bürgerrechtler und machten diejenigen mundtot, die das Verhalten der Regierung kritisierten. Sie rechtfertigten ihre repressiven Taktiken, indem sie die Gefahr des "Spaltertums" und vage und ungerechtfertigte Bedrohungen der nationalen Sicherheit heraufbeschworen.

Gleich, welcher ethnischen Gruppe sie angehörten: Kritiker, die die chinesische Regierung direkt herausforderten, wurden Opfer von Repressionen. Diese Regierung erfüllte noch nicht einmal die Kriterien, die sie selbst in ihrem zweijährigen Menschenrechts-Aktionsplan, der im Jahr 2010 auslief, aufgestellt hatte. Obwohl öffentliche Diskussionen sowohl durch traditionelle Medien wie Zeitungen als auch in sozialen Internet-Netzwerken ständig zunahmen, waren Stimmen, die eine repräsentativere Regierung forderten, weiterhin großen Einschränkungen unterworfen. Die chinesische Regierung zeigte damit, dass sie überaus empfindlich reagiert, sobald Medien und Zivilgesellschaft öffentlich Kritik äußern, und dass sie große Angst davor hat, den Bürgern des Landes eine größere Rolle in der Regierungsführung zuzugestehen.

In Thailand, einem Land, das eine offenere Medienlandschaft als die meisten seiner Nachbarn in Südostasien aufweist, kam es angesichts schwerer politischer Unruhen und Gewalt auf den Straßen zu größeren Einschränkungen der freien Meinungsäußerung. Als in Bangkok umfangreiche und teilweise gewaltsame Proteste ausbrachen, rief die Regierung den Notstand aus und ging gegen Tausende von Internetseiten vor. Dabei wurden zahllose Websites mit der Begründung geschlossen, dass sie eine Bedrohung der nationalen Sicherheit darstellten oder in irgendeiner Form die Monarchie beleidigt und damit die harten Bestimmungen des Lèse-Majesté-Gesetzes verletzt hätten.

Indien hat sich lange Zeit seiner lebendigen Medien und seiner gut funktionierenden Rechtsordnung gerühmt, die die Grundlage für den Anspruch des Landes waren, die größte Demokratie der Welt zu sein. Das Verfahren der indischen Regierung gegen Binayak Sen und die Anklagen gegen hunderte in der Unruheregion Jammu und Kaschmir inhaftierte Personen stützten sich jedoch auf unhaltbare und grundlose Anschuldigungen aufgrund der Bedrohung der nationalen Sicherheit. Als die Proteste gegen die in diesem Bundesstaat von der indischen Regierung ausgeübte "Herrschaft der harten Hand" immer stärker wurden, nahmen die indischen Behörden zahlreiche Verdächtige fest und hielten viele von ihnen ohne ein ordnungsgemäßes rechtsstaatliches Verfahren in Administrativhaft.

Die Bürger mehrerer anderer südasiatischer Länder litten gleichfalls unter schwerwiegenden Einschränkungen ihres Rechts auf freie Meinungsäußerung. In Sri Lanka hielten die Auflagen, denen Journalisten und die Zivilgesellschaft unterworfen waren, nach der im Januar erfolgten Wiederwahl von Präsident Mahinda Rajapaksa an. Journalisten und Bürgerrechtler, die seine Regierung kritisierten, berichteten über Einschüchterungen und Bedrohungen. Hinzu kamen mehrere Vorfälle, bei denen der Regierung mutmaßlich nahestehende Kräfte Journalisten schikanierten, festnahmen oder entführten. In gleicher Weise waren auch afghanische Journalisten zunehmend Schikanierungen und Angriffen durch staatliche und nichtstaatliche Akteure ausgesetzt. Die Übergriffe ereigneten sich insbesondere während der weithin diskreditierten Parlamentswahlen. Aber zumindest in den von der Regierung kontrollierten Gebieten von Afghanistan führten Journalisten trotz Drangsalierungen und Festnahmen durch die Behörden mutig ihre Arbeit fort. Bedauerlicherweise unterbanden die Taliban und andere regierungsfeindliche Gruppen in zunehmend größeren Teilen des Landes jegliche kritische Debatte.

In mehreren Fällen griffen die Regierungen in der Region zwar nicht direkt in das Recht auf freie Meinungsäußerung ein, unternahmen jedoch wenig, um Journalisten oder den Raum für den öffentlichen Diskurs zu schützen. Mehr als ein Jahr nach dem Massaker an 33 Journalisten auf den Philippinen zogen sich die Verhandlungen gegen die mutmaßlichen Täter in die Länge, während Zeugen über Bedrohungen und Einschüchterungen berichteten. In Pakistan wurden 2010 insgesamt 19 Medienschaffende getötet. In den meisten Fällen konnte nicht eindeutig bestimmt werden, wer die Täter waren. Bei einem Teil dieser Anschläge richtete sich der Verdacht von den pakistanischen Taliban über radikale religiöse Gruppen bis auf die am Rande der Legalität arbeitenden staatlichen Geheimdienste. Die Regierung tat kaum etwas, um die Journalisten zu schützen oder die Täter vor Gericht zu stellen. Doch trotz dieser Übergriffe berichteten zahlreiche pakistanische Journalisten ausführlich über die vielen Missstände im Land.

Auch 2010 wurde für Pakistan ein Katastrophenjahr. Im Juli und August setzten die schwersten Überschwemmungen in der Geschichte des Landes fast ein Fünftel des Staatsgebiets unter Wasser, etwa 20 Mio. Menschen waren davon betroffen. Das Elend von Millionen von Pakistanern, die sowieso schon unter konfliktbezogener Gewalt, Vertreibung und extremer Armut litten, nahm durch diese Katastrophe noch zu. Im nordwestlichen Pakistan verstießen Armeeangehörige häufig gegen das Kriegsrecht und die Menschenrechte, indem sie willkürlich Zivilpersonen festnahmen und Personen, die sie als Aufständische verdächtigten, außergerichtlich hinrichteten. Demgegenüber erlegten die pakistanischen Taliban und andere aufständische Gruppen der Zivilbevölkerung grausame Strafen auf, nahmen Zivilpersonen und zivile Einrichtungen wie Schulen ins Visier und führten Selbstmordanschläge in den größeren Städten durch, bei denen Hunderte von Zivilpersonen starben oder verletzt wurden. Überall in der Provinz Belutschistan wurden die von Kugeln durchsiebten Leichen vermisster belutschistanischer Bürgerrechtler aufgefunden. Die Familienangehörigen und Menschenrechtsverteidiger beschuldigten Pakistans Sicherheitskräfte, für diese "Tötungs- und Entsorgungsmaßnahmen" verantwortlich zu sein. Die Gräueltaten verstärkten das schon bestehende Klima der Angst noch zusätzlich und lieferten einen weiteren Grund für die Beschwerden der Bevölkerung von Belutschistan über die schlechte Regierungsführung und ihre Ausgrenzung. Die nur unvollständigen und spärlichen Berichte aus diesen konfliktreichen Gebieten ließen das enorme menschliche Leiden in dieser Provinz jedoch nur erahnen.

In gleicher Weise minderten die von der Regierung Indiens auferlegten Einschränkungen und die allgemeine Unsicherheit die Möglichkeit zu einer umfassenden Berichterstattung über die von der bewaffneten maoistischen Aufstandsbewegung geschürte eskalierende Krise in Zentral- und Nordostindien. Dadurch war es aber auch unmöglich, die auslösenden Faktoren dieser Krise umfassend zu verstehen, die Premierminister Manmohan Singh als Indiens größtes Problem der inneren Sicherheit bezeichnet hatte. Eine gefährliche Mischung aus Armut, Kasten- und ethnischer Diskriminierung, religiösem Dogma und unternehmerischer Habgier schuf die Grundlage für eine Krise, die die Sicherheitskräfte und die mit ihnen verbündeten paramilitärischen Gruppen veranlassten, häufig ohne jeden Unterschied gegen militante Gruppierungen vorzugehen, wobei die Zivilbevölkerung einen hohen Preis zu zahlen hatte.

Menschenrechtsverletzungen durch Wirtschaftsunternehmen

Die durch Menschenrechtsverteidiger wie Binayak Sen geleistete Arbeit führte dazu, dass sich die Aufmerksamkeit auf die in Zentralindien und besonders dem Bundesstaat Chhattisgarh vorherrschenden Probleme richtete. Menschenrechtsaktivisten haben seit langem darauf hingewiesen, dass der Konflikt in Zentralindien entstand, weil die Regierungspolitik die Armut der Region noch verstärkte und die Regierung nicht gegen das nach dem Giftgasunfall in Bhopal im Jahr 1984 von Union Carbide an den Tag gelegte unangemessene unternehmerische Verhalten eingeschritten war. Hinzu kamen die in der jüngeren Vergangenheit gestarteten Versuche, die wirtschaftliche Entwicklung ohne ausreichende Konsultation der Bewohner der Region voranzutreiben.

Die indische Regierung unternahm einen positiven Schritt, als sie die Entwicklung eines groß angelegten Bauxit-Abbauprojektes des in Großbritannien ansässigen Bergbaukonzerns Vedanta Resources und der staatseigenen Orissa Mining Corporation stoppte. Dies geschah, nachdem ein von der Regierung eingesetzter Ausschuss festgestellt hatte, dass die beiden Unternehmen ihre Pläne in Angriff genommen hatten, ohne sicherzustellen, dass die in der Region betroffenen Adivasi ihre freie, vorherige und informierte Zustimmung erteilen konnte. Für die indigene Bevölkerung ist das Gebiet des geplanten Bergbauvorhabens ein Ort höchster religiöser Bedeutung. Es handelte sich bei dem Verbot des Projekts um die erste Entscheidung dieser Art in Indien, und sie weckte die Hoffnung, dass die indische Regierung den Adivasi und anderen Gruppen, die unter institutionalisierter Armut und Ausgrenzung litten, zukünftig größere Aufmerksamkeit zukommen lassen könnte.

Die Zurücknahme der Entscheidung über die Durchführung des Vedanta-Projekts war das Ergebnis einer intensiven Kampagne der Adivasi in enger Zusammenarbeit mit internationalen Gruppen, darunter auch Amnesty International, die weltweit Druck auf Wirtschaftsunternehmen und in der Öffentlichkeit ausübten. In London, wo Vedanta-Aktionäre im Juli 2010 zusammentrafen, bedienten sich die Teilnehmer der Kampagne zum Beispiel des internationalen Rechts und prominenter Fürsprecher, um ihr Anliegen in die Öffentlichkeit zu bringen. Sie bemalten sich sogar mit blauer Farbe, um damit auf den kürzlich gezeigten populären Science-Fiction-Film Avatar hinzuweisen. Der Film handelt vom Kampf einer indigenen Bevölkerung gegen Eindringlinge, die ihre Rohstoffe ausbeuten wollen, und spiegelt damit vordergründig die Situation in Orissa wider.

Zugang zu Gesundheitsversorgung und Müttersterblichkeit

Die Kampagne für die Aufrechterhaltung der Würde und die Verteidigung der Rechte der Armen und ausgegrenzten Bevölkerungsschichten stieß in anderen Regionen weiterhin auf viele Schwierigkeiten. Lokale Gruppen in Indonesien, die sich für die Bekämpfung der unverhältnismäßig hohen Müttersterblichkeitsrate im Land einsetzten, haben in der letzten Zeit ihre Anstrengungen verstärkt, um durch eine Reform der diskriminierenden Gesetzgebung und eine Veränderung der problematischen Einstellungen der Gesellschaft den Trend umzukehren. Letztendlich hatten die bestehende Gesetzgebung und die Einstellung der Gesellschaft zu dieser negativen Statistik geführt. Obwohl tausende indonesischer Frauen unnötigerweise bei Komplikationen in der Schwangerschaft und bei der Geburt sterben, hat es sich als schwierig erwiesen, ausreichende öffentliche Unterstützung zu gewinnen, damit die Regierung auf diese Situation aufmerksam wird und beschließt, das Problem anzugehen. Die indonesische Regierung hat sich dennoch dazu verpflichtet, die Lebensbedingungen der Bevölkerung des Landes und speziell der Frauen und Mädchen zu verbessern.

Es hat sich gezeigt, dass es viel schwieriger ist, für die Rechte der Bürger in Ländern zu kämpfen, deren Regierungen ihren Verpflichtungen in mehr oder minder großem Ausmaß schlichtweg nicht nachkommen. In Nordkorea leiden Millionen von Menschen unter einem Mangel an Nahrungsmitteln und fehlendem Zugang zu Arzneien und Gesundheitsversorgung. Die ungeheuerliche Misswirtschaft der Regierung, verbunden mit der natürlich auftretenden Dürre, hat zu einer extremen Knappheit geführt, so dass die Menschen in vielen Fällen gezwungen waren, ihre Nahrung durch nicht essbare Pflanzen zu ergänzen und sogar ohne elementare Gesundheitsversorgung auszukommen. Trotz dieser Schwierigkeiten hat die nordkoreanische Regierung die Verteilung internationaler Hilfsmittel eingeschränkt.

Afghanistan litt noch immer unter einer der höchsten Müttersterblichkeitsraten der Welt: Eine von acht afghanischen Frauen starb aufgrund schwangerschaftsbedingter Komplikationen. Frühverheiratung, häufig im Alter unter 15 Jahren, sowie unterlassene medizinische Eingriffe waren zwei Faktoren, die eine Verbesserung der Situation verhindert haben.

Nur selten existieren derart extreme Situationen wie in Nordkorea und Afghanistan, aber die vorsätzliche Verletzung der internationalen Menschenrechte kann selbst in viel wohlhabenderen Nationen wie Malaysia geschehen, wo die Regierung gegen das internationale Folterverbot verstieß, indem sie weiterhin Prügelstrafen bei tausenden Menschen erlaubte, die unter dem Vorwurf der Verletzung von Einwanderungsbestimmungen und wegen kleinkrimineller Aktivitäten festgenommen worden waren. Nach Regierungsangaben wurden in Malaysia während des vergangenen Jahrzehnts Tausende von Menschen der Prügelstrafe unterzogen. Es handelt sich um eine Foltermethode, die den Opfern extreme Schmerzen zufügt und permanente Narbenbildung verursacht. Im Februar 2010 wurden drei Frauen mit Stöcken geschlagen, weil sie das religiöse Gesetz (Scharia) verletzt haben sollen. Es war das erste Mal, dass Frauen zu dieser Strafe verurteilt wurden. Die Regierung von Malaysia warb sogar Ärzte an, um Unterstützung beim Vollzug dieser Strafe zu leisten. Ihre Aufgabe beschränkte sich darauf zu bescheinigen, dass die Prügelstrafenopfer in der Lage waren, die Schläge zu ertragen. Dies stellt eine klare Verletzung ärztlicher Ethik und der Pflicht des Arztes dar, Schaden von denen abzuwenden, die sich in seiner Obhut befinden. Statt sofort zu handeln, um diese beschämende Praxis zu beenden, versuchte die Regierung von Malaysia, eine interne Debatte über diese Thematik zu unterbinden. Sie ließ sogar die Stellen, die sich auf die "Epidemie" der Prügelstrafe in Malaysia bezogen, in der dort verkauften Auflage des internationalen Wochenmagazins Time schwärzen.

Internationale Gerichtsbarkeit

Die Aufmerksamkeit der Medien und öffentlicher Druck sind nur zwei Komponenten, die notwendig sind um sicherzustellen, dass Regierende empfänglich für die Einhaltung der Menschenrechte sind, und Rechenschaft ablegen. Dass die Politik die Überwachung der Menschenrechtslage nur unter großen Einschränkungen gestattete, zeigt, wie wichtig es ist, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Aber wenn es keinen Mechanismus gibt, der diese Zeugenaussagen in einen Prozess münden lässt, dessen Ziel Gerechtigkeit ist, kommen mächtige Personen allzu oft davon, ohne für ihre Verbrechen bestraft zu werden. Im Jahr 2010 befand sich die Waage der Gerechtigkeit in der asiatisch-pazifischen Region eindeutig zugunsten der Täter im Ungleichgewicht.

Die Regierung von Sri Lanka versuchte im Verlauf des Jahres 2010 zu vermeiden, Rechenschaft für die Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen ablegen zu müssen, die den langandauernden Konflikt charakterisierten, der mit der militärischen Niederlage der bewaffneten Gruppe Liberation Tigers of Tamil Eelam – die selbst für zahlreiche Menschenrechtsverletzungen verantwortlich war – beendet wurde. Der Sieg wurde auf Kosten der Zivilbevölkerung errungen, Tausende wurden getötet, verwundet und gefangen genommen. Trotz einer den UN gegebenen Zusage, den Opfern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, war im Mandat der von der Regierung eingesetzten Untersuchungskommission (Lessons Learnt and Reconciliation Commission – LLRC) keinerlei Bezug auf die Rechenschaftspflicht enthalten. So schien die LLRC dazu bestimmt zu sein, das gleiche Schicksal wie die anderen während der letzten 20 Jahre eingesetzten Gremien zur Aufarbeitung der Straflosigkeit zu erleiden, die letztlich erfolglos blieben. Die Hoffnung auf Gerechtigkeit hat sich nunmehr auf ein Expertengremium gerichtet, das den UN-Generalsekretär Ban Ki-moon dabei unterstützen soll, die Frage zu klären, ob ein weiterer internationaler Mechanismus zur Rechenschaftslegung notwendig ist.

Die bestehenden internationalen Mechanismen zur Rechenschaftslegung wiesen 2010 eine gemischte Bilanz auf. In Kambodscha wurde der berüchtigte Kommandant des Sicherheitsgefängnisses der Roten Khmer Kaing Guek Eav, auch als "Duch" bekannt, im Juli wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen zu 35 Jahren Gefängnis verurteilt. Es handelte sich um die erste Verurteilung durch die Außerordentlichen Kammern der Kambodschanischen Gerichte (Extraordinary Chambers in the Courts of Cambodia – ECCC), ein von den UN unterstütztes Tribunal. Vier weitere Rote-Khmer-Führer befinden sich noch bis zur Durchführung der Anhörungen in Haft. Das ist zwar ein kleiner, allerdings bedeutsamer Schritt bei der Suche nach Gerechtigkeit für die Opfer, die auf den killing fields ihr Leben lassen mussten. Kambodschas Regierungschef Hun Sen rief das Khmer-Rouge-Tribunal öffentlich dazu auf, seine Tätigkeit auf die strafrechtliche Verfolgung dieser fünf Personen zu beschränken.

In ähnlicher Weise erklärte der Präsident von Timor-Leste, José Ramos-Horta, gegenüber dem UN-Menschenrechtsrat, dass "wir zwischen Gemeinschaften, die sich seit langer Zeit feindlich gegenüberstehen, häufig Kompromisse schließen müssen, wenn es um Gerechtigkeit geht". Diese Erklärung widersprach allen Empfehlungen, die der Wahrheits- und Versöhnungsausschuss von Timor-Leste im Jahr 2005 sowie timorische Opfer, nationale Menschenrechtsgruppen und Rechtsexperten der UN ausgesprochen hatten.

Bisher wurde das Prinzip der internationalen Gerichtsbarkeit in der asiatisch-pazifischen Region häufiger gebrochen als eingehalten. Aber im Jahr 2010 war in der Region die Vorstellung, dass auch mächtige Personen – sogar Staatsoberhäupter – vor Gericht gestellt werden können und sollen, nicht mehr fremd. Dies zeigte sich darin, dass Regierungen, Unternehmen und bewaffnete Gruppen alles Erdenkliche taten, um Lippenbekenntnisse abzulegen, während sie sorgsam darauf achteten, einer rechtlichen Verantwortlichkeit aus dem Wege zu gehen.

Das Herzstück im Kampf gegen Menschenrechtsverletzungen

Einige Menschenrechtsverteidiger wie Aung San Suu Kyi, Liu Xiaobo und Binayak Sen haben weltweit Bekanntheit erlangt, und jeder von ihnen hat sein Ansehen genutzt, um – auch zum Preis unfairer Bestrafung – eine Verbesserung der Menschenrechtslage in der asiatisch-pazifischen Region zu erreichen. Den wichtigsten Beitrag haben diese Menschenrechtsverteidiger aber nicht durch ihren ikonenhaften Status geleistet, sondern weil sie darauf hingewiesen haben, dass hunderten anderen mutigen Kritikern und Menschenrechtsverteidiger, die weniger berühmt sind, dasselbe widerfahren ist wie ihnen. Letztendlich kommt es darauf an, das Augenmerk auf die Menschenrechtsverletzungen zu richten, die diese unbekannten Personen erdulden mussten, denn – wie der Fall "Duch" und andere erfolgreiche internationale Strafverfahren zeigen – bedarf es nur eines einzigen Falls, eines individuellen Sachverhalts, um eine Verurteilung aufgrund der Verletzung internationaler Menschenrechte sicherzustellen. Deshalb bildete im Jahr 2010 wie schon in den vorhergehenden Jahren die Arbeit eines jeden Menschenrechtsverteidigers den Kern des weltweiten Kampfes für die Menschenrechte, insbesondere wenn sich das Engagement gegen massive und systematische Verletzungen in einer Region richtete, die die Heimat von fast zwei Dritteln der Weltbevölkerung ist und die sich über ein Drittel der Welt erstreckt.

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