Amnesty Report Nepal 10. Mai 2011

Nepal 2011

 

Amtliche Bezeichnung: Demokratische Bundesrepublik Nepal Staatsoberhaupt: Ram Baran Yadav Regierungschef: Madhav Kumar Nepal (seit Juni Übergangsministerpräsident) Todesstrafe: für alle Straftaten abgeschafft Einwohner: 29,9 Mio. Lebenserwartung: 67,5 Jahre Kindersterblichkeit (m/w): 52/55 pro 1000 Lebendgeburten Alphabetisierungsrate: 57,9%

Nepal machte 2010 nur wenig Fortschritte bei der Aufhebung der Straffreiheit, der Verfolgung vergangener Menschenrechtsverletzungen und der Gewährleistung der Einhaltung der Menschenrechte. Maßnahmen zur Ahndung von Verstößen gegen die Menschenrechte wurden von Beamten aktiv behindert. Außerdem setzten die Politiker im Rahmen des Friedensprozesses eingegangene Verpflichtungen in der Praxis nicht um. Folter und andere Formen der Misshandlung in Polizeigewahrsam waren nach wie vor weit verbreitet. Diskriminierung aufgrund der ethnischen, religiösen und geschlechtlichen Zugehörigkeit blieb meist ungeahndet. Frauen und Mädchen waren nach wie vor Opfer von Gewalt.

Hintergrund

Gemäß dem Friedensabkommen von 2006 wurde die verfassunggebende Versammlung mit dem Entwurf einer neuen Verfassung beauftragt, um die Menschenrechtsproblematik anzugehen, die den politischen Konflikt Nepals prägt. Die Amtszeit der verfassunggebenden Versammlung lief jedoch zum 28. Mai aus, ohne dass ein Entwurf fertiggestellt wurde. Trotz mehrerer Wahlen konnte kein neuer nepalesischer Regierungschef gewählt werden, und das Land wurde von der Übergangsregierung unter Ministerpräsident Madhav Kumar Nepal regiert. Im Rahmen des Gesetzes zur öffentlichen Sicherheit (Public Security Act) inhaftierte die Polizei mehrere Personen, darunter auch friedliche tibetische Demonstranten, ohne offizielles Verfahren.

Justiz in der Übergangsphase

Ein Gesetzentwurf zur Einrichtung einer durch das Friedensabkommen geforderten Wahrheits- und Versöhnungskommission (Truth and Reconciliation Commission – TRC) wurde nach langen Verzögerungen im April in das Parlament eingebracht, jedoch nicht ratifiziert. Der Entwurf hatte beträchtliche Mängel, dazu zählten u.a. die fehlende Unabhängigkeit der vorgesehenen Kommission von politischer Einflussnahme sowie das Vorhaben, ihr die Befugnis zu erteilen, eine Amnestie für Verantwortliche schwerer Menschenrechtsverletzungen zu empfehlen.

»Verschwindenlassen«

Ein Gesetzentwurf, der das "Verschwindenlassen" unter Strafe stellt und die Einrichtung einer entsprechenden Untersuchungskommission vorsieht, war noch anhängig. Er beinhaltete Änderungsvorschläge zu einigen schweren Mängeln früherer Entwürfe. Zu den Vorschlägen gehörte, "Verschwindenlassen" künftig in bestimmten Fällen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu werten und zu gewährleisten, dass die Strafen in einem angemessenen Verhältnis zur extremen Schwere der Straftaten stehen. Die Familien verschwundener Personen waren jedoch mit dem Entwurf nicht einverstanden und bemängelten, dass er ohne angemessene Beratung ausgearbeitet worden sei.

  • Im Juli 2010 wurden Anwälte und Menschenrechtsverteidiger, die mit der Untersuchung des Falls von Arjun Bahadur Lama befasst waren, von Anhängern der Maoisten bedroht, nachdem einem Verdächtigen in dem Fall von der US-amerikanischen Botschaft ein Visum verweigert worden war. Der Lehrer Arjun Bahadur Lama war während des bewaffneten Konflikts von Maoisten entführt und getötet worden.

  • Im September 2010 exhumierte ein Team der nepalesischen Menschenrechtskommission (National Human Rights Commission – NHRC), darunter ausländische Gerichtsmediziner und UN-Beobachter, die Überreste von vier Leichnamen. Man ging davon aus, dass es sich dabei um eine Gruppe von Männern handelte, die im Oktober 2003 in Janakpur von Sicherheitskräften entführt worden war. Eine eindeutige Identifizierung der sterblichen Überreste stand noch aus. Trotz der Exhumierung kamen die Ermittlungen nur langsam voran, und es gab keine Festnahmen.

Straflosigkeit

Die Verantwortlichen für Menschenrechtsverletzungen, die während des politischen Konflikts, der durch das Friedensabkommen 2006 beendet worden war, begangen worden waren, blieben weiterhin straffrei. Die Behörden setzten gerichtlich erlassene Haftbefehle gegen Militärangehörige, denen Menschenrechtsverletzungen zur Last gelegt werden, nicht um. Die Polizei weigerte sich in diesen Fällen, Strafanzeigen entgegenzunehmen oder Nachforschungen anzustellen.

  • Trotz einer gerichtlichen Verfügung verweigerte die nepalesische Armee die Überstellung von Major Niranjan Basnet. Der Major, der 2004 die 15-jährige Maina Sunuwar gefoltert und ermordet haben soll, wurde im Dezember 2009 von einer UN-Mission abgezogen und in sein Heimatland zurückbeordert. Die Armee übergab ihn bei seiner Rückkehr nicht der Polizei und forderte das Verteidigungsministerium in einem Schreiben auf, die Anklage zurückzuziehen. Mitte Juli wurde er im Rahmen einer internen Untersuchung der nepalesischen Armee der Vergehen für "nicht schuldig" befunden.

Exzessive Gewaltanwendung

Es gab Berichte über den Einsatz exzessiver Gewalt durch Polizei- und Militärangehörige sowie bei inszenierten "Zusammenstößen" verübte Tötungen von Personen, die verdächtigt wurden, Verbindungen zu bewaffneten Gruppen zu unterhalten.

  • Am 13. Juni 2010 wurde der 20-jährige Advesh Kumar Mandal aus Janakpur von der Polizei erschossen. Er soll Mitglied der in der Terai-Region operierenden bewaffneten Gruppierung Janatantrik Terai Mukti Morcha (JTMM) gewesen sein.

Folter und andere Misshandlungen

Es kam auch weiterhin zu Folter und anderen Misshandlungen von Häftlingen durch die Polizei. Die nationalen Gesetze zum Schutz gegen Folter reichten nicht an internationale Standards heran und wurden nach wie vor nicht angemessen umgesetzt.

  • Am 25. Mai 2010 starb der wegen Diebstahls verhaftete 46-jährige Sanu Sunar, ein Angehöriger der Dalit, an den Verletzungen, die er im Polizeigewahrsam auf der Polizeistation von Kalimati erlitten hatte. Der NHRC zufolge starb Sanu Sunar an den Folgen von Polizeifolter. Die Kommission empfahl ein gerichtliches Vorgehen. Am 24. Juni ordnete das Bezirksgericht von Kathmandu die Inhaftierung von drei Polizisten an, die der Misshandlung von Sanu Sunar verdächtigt wurden. Die Ermittlungen machten jedoch nur wenig Fortschritte.

Misshandlungen durch bewaffnete Gruppen

Über 100 bewaffnete Gruppen, die hauptsächlich in der Terai-Region von Nepal operieren, begingen 2010 weiterhin Menschenrechtsverstöße wie Entführungen, Übergriffe und Tötungen. Einige Gruppen handelten aus erkennbaren politischen oder religiösen Motiven, während es sich bei anderen um kriminelle Banden handelte.

  • Angehörige von JTMM-Rajan Mukti schossen am 28. Oktober in Janakinagar auf Lal Kishor Jha, als der 50-jährige Mitarbeiter der Schulbehörde des Bezirks Mahottari sein Haus verließ, und verletzten ihn dabei tödlich. Er wurde wegen seiner mutmaßlichen Beteiligung an dem Verkauf von Guthi-Land (Land, das als religiöse Stiftung vergeben wird) und finanzieller Unregelmäßigkeiten in der Schulbehörde mit zwei Kugeln von hinten niedergestreckt.

Diskriminierung

Dalits, indigene Gruppen, Behinderte sowie religiöse und sexuelle Minderheiten wurden trotz der rechtlichen Anerkennung ihrer Gleichberechtigung sozial ausgegrenzt. Bemühungen, die geschlechtliche Diskriminierung auf gesetzlicher Ebene zu bekämpfen, hatten kaum Erfolg angesichts der fortdauernden Diskriminierung von Frauen im öffentlichen und privaten Bereich. Frauen, insbesondere Angehörige der Dalit, sahen sich bei der Wahrnehmung ihrer Rechte in Bezug auf den Zugang zu juristischen Einrichtungen, Land- und Vermögensbesitz, Erbschaften, Einkommens- und Beschäftigungsbedingungen und politischer Mitwirkung mit Hindernissen konfrontiert.

  • Leichte Fortschritte konnten 2010 im Umgang der Gerichte mit der Kastendiskriminierung verzeichnet werden. Im August bestätigte das Berufungsgericht von Kanchanpur die Gerichtsurteile (eines vom Januar, das andere vom März) gegen zwei Männer, die verurteilt worden waren, weil sie Dalits aufgrund von deren Kastenzugehörigkeit angegriffen hatten.

Gewalt gegen Frauen und Mädchen

Nepals Bestrebungen, "Gewalt gegen Frauen 2010 zu beenden", hatten nur wenig sichtbaren Erfolg. In der ersten Jahreshälfte wurden der Polizei allein im Kathmandu-Tal 300 Fälle familiärer Gewalt gemeldet. Viele weitere blieben im Dunkeln. Der Hexerei beschuldigte Frauen – meist arm, isoliert oder Angehörige der Dalit – wurden von der lokalen Bevölkerung angegriffen und gefoltert. Mängel in der Gesetzgebung und eine unzureichende Polizeiarbeit erschwerten die Strafverfolgung in Fällen von häuslicher und sexueller Gewalt.

  • Anfang 2010 hinderten Männer aus einem Dorf im Bezirk Siraha, in dem es zu einer Vergewaltigung gekommen war, Angehörige des Rehabilitationszentrums für Frauen (Women’s Rehabilitation Centre) daran, Zeuginnen zu ihrer Aussage bei Gericht zu begleiten. Der Angeklagte wurde für nicht schuldig befunden. Junge nepalesische Frauen suchten im Ausland nach einer Möglichkeit, ihre wirtschaftliche Situation zu verbessern. Eine unzureichende Gesetzgebung und mangelhafte Umsetzung bestehender Gesetze sowie Korruption trugen zur Ausbeutung dieser Frauen bei.

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