Amnesty Report Griechenland 11. Mai 2011

Griechenland 2011

 

Amtliche Bezeichnung: Hellenische Republik Staatsoberhaupt: Karolos Papoulias Regierungschef: Giorgos Andrea Papandreou Todesstrafe: für alle Straftaten abgeschafft Einwohner: 11,2 Mio. Lebenserwartung: 79,7 Jahre Kindersterblichkeit (m/w): 5/4 pro 1000 Lebendgeburten Alphabetisierungsrate: 97%

Die Berichte über exzessive Gewaltanwendung und Misshandlungen durch Polizeibeamte rissen nicht ab. Griechenland besaß weiterhin kein funktionierendes System für den Umgang mit Asylsuchenden. Die unzureichenden Haftbedingungen in den Grenzkontrollstellen sowie in den Hafteinrichtungen für Zuwanderer gaben unvermindert Anlass zu Besorgnis. Es kam vermehrt zu gewalttätigen rassistischen Übergriffen gegen Migranten und Asylsuchende.

Hintergrund

Die schwere Finanzkrise Griechenlands hatte zur Folge, dass das Land 2010 ein Rettungspaket mit der EU, dem Internationalen Währungsfonds und der Europäischen Zentralbank vereinbaren musste. Im Mai verabschiedete das Parlament einschneidende Haushaltskürzungen, die zu einer Reihe von Gewerkschaftsdemonstrationen vor und nach der Verabschiedung führten. Bei einer Demonstration gegen die Sparmaßnahmen in Athen kamen am 5. Mai drei Bankangestellte ums Leben, nachdem Unbekannte einen Brandsatz in die Bank geworfen hatten.

Bewaffnete oppositionelle Gruppen verübten weiterhin Bombenattentate. Im Juni kam bei der Explosion einer Paketbombe im Ministerium für Öffentliche Ordnung in Athen ein Sekretär des Ministers ums Leben. Ebenfalls im Juni wurde ein griechischer Journalist in Athen von bewaffneten Angreifern getötet. Im November wurden mehrere Paketbomben, die an ausländische Botschaften in Griechenland, das Parlament, internationale Organisationen sowie europäische Staats- und Regierungschefs gerichtet waren, von den Behörden entdeckt und unschädlich gemacht.

Im März trat ein neues Gesetz in Kraft, das es Kindern von Migranten ermöglichen würde, die griechische Staatsangehörigkeit zu bekommen, falls sie bestimmte Kriterien erfüllten.

Folter und andere Misshandlungen

Es gab Berichte über den willkürlichen und exzessiven Einsatz von Tränengas und anderen Chemikalien sowie über exzessiven Gewalteinsatz gegen Protestierende bei Demonstrationen.

  • Zu exzessiver Gewaltanwendung gegenüber friedlichen Demonstrierenden kam es laut Berichten bei den Gedenkmärschen zum zweiten Jahrestag des Todes von Alexis Gregoropoulos am 6. Dezember 2010. Dem Vernehmen nach musste sich eine Reihe von Demonstrierenden im Krankenhaus behandeln lassen, darunter etwa 45 Personen, die Kopfwunden und andere Verletzungen aufwiesen, sowie 30 weitere Personen, die unter den Auswirkungen des übermäßigen Einsatzes von Tränengas und anderen Chemikalien litten. Berichten zufolge sollen Angehörige der Bereitschaftspolizei einen Bildjournalisten und einen Fotografen, die über die Ereignisse berichteten, geschlagen und verletzt haben.

Die Berichte über Misshandlungen durch Beamte mit Polizeibefugnissen rissen nicht ab, dazu zählten auch Misshandlungen von Personen, die besonders schutzbedürftigen Gruppen angehörten, wie etwa inhaftierte Asylsuchende und Migranten ohne regulären Aufenthaltsstatus.

  • Es gab Vorwürfe, mehrere Migranten ohne regulären Aufenthaltsstatus und Asylsuchende, die am 16. August 2010 an der Grenzkontrollstelle Soufli festgenommen worden waren, seien schwer geschlagen worden. Die Festgenommenen hatten sich über ihre schlechten Haftbedingungen beklagt. Zwei Tage danach sollen drei von ihnen verprügelt worden sein, nachdem die Inhaftierten am Tag nach den ersten Misshandlungen in den Hungerstreik getreten waren.

  • Im Oktober 2010 wurde ein Beamter der Sondereinsatzkräfte im Zusammenhang mit der Erschießung des 15-jährigen Alexis Gregoropoulos im Dezember 2008 wegen vorsätzlichen Totschlags schuldig gesprochen und zu lebenslanger Haft verurteilt. Ein zweiter Beamter der Sondereinsatzkräfte wurde der Beteiligung an vorsätzlichem Totschlag für schuldig befunden und zu zehn Jahren Haft verurteilt.

Am Ende seines Besuchs im Oktober forderte der UN-Sonderberichterstatter über Folter das Land auf, das Fakultativprotokoll zum UN-Übereinkommen gegen Folter zu ratifizieren und ein unabhängiges und wirksames Organ für Polizeibeschwerden einzurichten. Im Dezember sah ein Gesetzentwurf die Einrichtung einer Dienststelle vor, die sich mit Vorfällen willkürlichen Polizeiverhaltens befassen soll. Bedenken hinsichtlich der Unabhängigkeit und der Wirksamkeit der vorgeschlagenen Dienststelle blieben jedoch bestehen.

Flüchtlinge und Migranten

Die Haftbedingungen in den Grenzkontrollstellen und in den Hafteinrichtungen für Zuwanderer erfüllten 2010 weiterhin nicht die notwendigen Standards. Zu den Mängeln zählten Überbelegung, lange Haftzeiten in Einrichtungen, die nicht für Daueraufenthalte angelegt waren, mangelnde Hygiene, fehlende Möglichkeiten zur sportlichen Betätigung sowie unzureichender oder eingeschränkter Zugang zu medizinischer Versorgung.

Die Zahl der Migranten ohne regulären Aufenthaltsstatus und der Asylsuchenden, die in der Region Evros auf dem Landweg über die türkisch-griechische Grenze kamen, stieg beträchtlich an. Im Oktober forderte der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge (UNHCR) die griechische Regierung auf, umgehend Schritte einzuleiten, um den humanitären Erfordernissen in der Region Evros gerecht zu werden. Notwendig seien u.a. der Einsatz von ausreichend Personal sowie Sofortmaßnahmen, um grundlegende Standards der Menschenwürde in den Hafteinrichtungen zu gewährleisten. Es gab Anlass zur Sorge, dass die Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den EU-Außengrenzen (FRONTEX) am 2. November eine schnelle Eingreiftruppe für den Grenzschutz in der Region stationierte.

Es gab in Griechenland weiterhin kein funktionierendes System für den Umgang mit Asylsuchenden. Ende 2010 wurden lange aufgeschobene Reformen allmählich umgesetzt. Im September bezeichnete der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge die Situation Asylsuchender in Griechenland als "humanitäre Krise" und drängte die griechischen Behörden, die Reform des Asylverfahrens voranzutreiben. Europäische Staaten, die an der Dublin-II-Verordnung beteiligt waren, verschärften die humanitäre Krise in Griechenland noch weiter, indem sie unvermindert Asylsuchende dorthin abschoben.

Im November trat der vorläufige Präsidialerlass über Asylentscheidungsverfahren (Präsidialerlass 114/2010) in Kraft. Damit konnten Entscheidungen der ersten Instanz in Asylverfahren und anderen Verfahren über Ansprüche auf internationalen Schutz wieder angefochten werden. Zugleich wurden vorläufige Bestimmungen über den Umgang mit dem enormen Rückstau an anhängigen Asylanträgen erlassen, die sich dem Vernehmen nach auf fast 47000 belaufen sollen. Dem Erlass zufolge soll die Polizei auch weiterhin für die erste Überprüfung von Asylanträgen zuständig sein. Kostenlose Rechtshilfe erhielten nach wie vor nur Asylsuchende, die vor dem Staatsrat Rechtsmittel einlegten.

Im Dezember wurde dem Parlament ein Gesetzentwurf zur Schaffung einer neuen Behörde für Asylentscheidungsverfahren vorgelegt, der ausschließlich zivile Mitarbeiter angehören sollen. Das Gesetz sah überdies die Schaffung von Erstaufnahmezentren vor und versuchte, die Rückführungsrichtlinie der EU in griechisches Recht umzusetzen. Es gab u.a. Bedenken hinsichtlich der Höchstdauer der Abschiebehaft, die in dem Gesetzesentwurf vorgesehen war.

In Athen traten mehrere Asylsuchende in den Hungerstreik, um gegen die langen Verzögerungen bei der Bearbeitung ihrer Asylanträge zu protestieren.

Diskriminierung

Es kam Berichten zufolge vermehrt zu gewalttätigen rassistischen Übergriffen gegen Migranten und Asylsuchende, vor allem in Athen. Im Athener Stadtviertel Agios Panteleimon soll die Polizei die Opfer nicht vor solchen Übergriffen geschützt haben.

Roma

In einer im Mai veröffentlichten Stellungnahme beanstandete der Europäische Ausschuss für Soziale Rechte, dass Griechenland Artikel 16 der Europäischen Sozialcharta verletzt habe, nachdem er festgestellt hatte, dass eine beträchtliche Zahl von Roma-Familien weiterhin unter Bedingungen lebte, die nicht einmal den Mindeststandards entsprachen. Der Ausschuss monierte auch, dass Roma nach wie vor von Zwangsräumungen bedroht waren und nicht in ausreichendem Maße Zugang zu Rechtshilfe hatten.

  • Im Fall Georgopoulos und andere gegen Griechenland stellte der UN-Menschenrechtsausschuss im September fest, dass Griechenland gegen den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte verstoßen hatte. In dem Fall ging es um den Abriss des Hauses einer Roma-Familie im Jahr 2006 sowie die Verhinderung eines Neubaus in der Roma-Siedlung im Riganokampos-Viertel der Stadt Patras.

NGOs äußerten sich besorgt über das Versäumnis der griechischen Behörden, das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Sampanis gegen Griechenland aus dem Jahr 2008 umzusetzen. Dem Vernehmen nach blieben Roma-Kinder, darunter auch die Kläger, weiterhin im Bildungssystem ausgegrenzt, und es wurden keine wirksamen Maßnahmen ergriffen, um die Schulanmeldungen von Roma-Kindern zu erhöhen oder dafür zu sorgen, dass sie vollständig ins Bildungssystem integriert wurden.

Haftbedingungen

Das ganze Jahr über trafen Berichte über schlechte Haftbedingungen und Überbelegung in zahlreichen Gefängnissen ein. Im Dezember 2010 lehnten dem Vernehmen nach ungefähr 8000 Gefangene in ganz Griechenland Mahlzeiten ab, während etwa 1200 Inhaftierte in den Hungerstreik traten. Sie forderten u.a. bessere Haftbedingungen und Maßnahmen gegen die Überbelegung.

Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen

Im September 2010 trat ein neues Gesetz über das Recht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen in Kraft. Darin wurde die Dauer des Zivildiensts etwas verkürzt und die Reserveverpflichtung für Kriegsdienstverweigerer abgeschafft. Die maximale Länge des Zivildiensts kam jedoch weiterhin einer Bestrafung gleich, da sie das Doppelte des normalen Militärdiensts betrug. Auch die reduzierte Zivildienstdauer, die jeweils im Ermessen des Verteidigungsministers liegt, wird von der großen Mehrheit der Wehrpflichtigen wohl weiterhin als strafend empfunden.

Es kam nach wie vor zur mehrfachen Strafverfolgung von Kriegsdienstverweigerern aus Gewissensgründen.

  • Im Februar 2010 bestätigte das Militärische Berufungsgericht in Athen die Verurteilung des Berufssoldaten Giorgos Monastiriotis wegen Fahnenflucht durch das Marinegericht Piräus und verhängte eine fünfmonatige Haftstrafe auf Bewährung. Giorgos Monastiriotis hatte sich im Jahr 2003 unter Berufung auf Gewissensgründe geweigert, seiner Einheit zu folgen, als diese in den Irak-Krieg abkommandiert wurde.

Menschenhandel

Im August 2010 wurde das Gesetz 3875/2010 verabschiedet, das u.a. das UN-Palermo-Protokoll zur Verhütung, Bekämpfung und Bestrafung des Menschenhandels aus dem Jahr 2000 umsetzen soll. Es enthielt positive Ergänzungen, so sollen z.B. die Opfer von Menschenhandel Schutz und Unterstützung erhalten, unabhängig davon, ob sie an der strafrechtlichen Verfolgung der mutmaßlichen Menschenhändler mitwirken, wenn sie zuvor bestimmte Anforderungen erfüllt haben.

Trotz der Ankündigung der Regierung im Jahr 2009, weitere Notunterkünfte für Frauen bereitzustellen, die Opfer von Menschenhandel oder familiärer Gewalt wurden, gab es dem Vernehmen nach nur zwei betriebsfähige staatliche Frauenhäuser, die 38 Bewohnerinnen aufnehmen konnten. Gleichzeitig konnte aufgrund mangelnder Finanzierung nur eine NGO-Einrichtung zum Schutz von Frauen, die Opfer von Menschenhandel geworden waren, ihren Betrieb aufrechterhalten.

Arbeiternehmerrechte

Es gab weiterhin Bedenken, ob die strafrechtlichen Ermittlungen bezüglich des Angriffs auf Konstantina Kuneva sorgfältig genug gewesen waren, und dem Verfahren drohte erneut die endgültige Einstellung. Ende 2010 ordnete der Staatsanwalt an, die Ermittlungen hinsichtlich des Angriffs würden mit Ermittlungen über die Arbeitsbedingungen in Reinigungsfirmen verbunden, was bedeutete, dass das Verfahren weitergeführt würde. Die Gewerkschaftsführerin Konstantina Kuneva hatte am 22. Dezember 2008 schwere Verletzungen erlitten, als sie in Athen von unbekannten Männern mit Schwefelsäure attackiert worden war.

Amnesty International: Missionen und Berichte

Eine Delegierte von Amnesty International besuchte Griechenland im April und im Oktober.

The Dublin II Trap: Transfers of asylum-seekers to Greece (EUR 25/001/2010)

Stop forced evictions of Roma in Europe (EUR 01/005/2010)

Greece: Irregular migrants and asylum seekers routinely detained in substandard conditions (EUR 25/002/2010)

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