Aktuell 22. November 2016

Sicherheitskräfte töten mindestens 150 friedliche Demonstrierende

Im November 2015 in Aba, Nigeria, demonstrierten Hunderte mit Flaggen und Gesängen für eine unabhängige Republik Biafra

Im November 2015 in Aba, Nigeria, demonstrierten Hunderte mit Flaggen und Gesängen für eine unabhängige Republik Biafra

24. November 2016 - Massenhinrichtungen, Folter und willkürliche Festnahmen: Ein aktueller Amnesty-Bericht dokumentiert das brutale Vorgehen der nigerianischen Sicherheitskräfte gegen Aktivistinnen und Aktivisten, die sich friedlich für die Unabhängigkeit der Region Biafra im Süden Nigerias einsetzen.

Der neue Amnesty-Bericht "'Bullets were raining everywhere': Deadly repression of pro-Biafra activists" belegt, dass nigerianische Sicherheitskräfte mindestens 150 Menschen töteten, die im Südosten des Landes zwischen August 2015 und August 2016 friedlich für die Unabhängigkeit Biafras von Nigeria demonstrierten.

Die weitaus größte Zahl an Biafra-Aktivistinnen und -Aktivisten wurde am 30. Mai 2016, dem Biafra-Gedenktag, getötet. An dem Tag trafen sich in Onitsha im Bundesstaat Anambra rund 1.000 Unterstützerinnen und Unterstützer der IPOB ("Indigenous People Of Biafra").

Sicherheitskräfte erschossen an mehreren Orten willkürlich Menschen. In der Nacht vor der Versammlung stürmten Sicherheitskräfte Häuser und eine Kirche, in denen IPOB-Mitglieder übernachteten. Amnesty geht davon aus, dass an den beiden Tagen insgesamt mindestens 60 Menschen getötet und 79 verletzt wurden.

"Durch das tödliche Vorgehen gegen Aktivistinnen und Aktivisten für ein unabhängiges
Biafra werden die Spannungen im Südosten Nigerias noch weiter angefacht. Der rücksichtslose Einsatz von Waffengewalt gegen Demonstrierende hat mindestens 150 Menschen das Leben gekostet. Amnesty befürchtet, dass die tatsächliche Zahl sogar noch viel höher ist", sagt Makmid Kamara, Direktor des Nigeriabüros von Amnesty International.

"Sie sagten, ich würde jetzt langsam sterben"

Amnesty hat Videoaufnahmen einer friedlichen Versammlung von IPOB- Unterstützerinnen und –Unterstützern an der Aba National High School am 9. Februar 2016 erhalten. Auf ihnen ist zu sehen, wie das nigerianische Militär die Gruppe einkreist, um dann ohne Vorwarnung mit scharfer Munition auf sie zu schießen.

Polizei und Militär beendeten eine gewaltlose IPOB-Aktion in einer Schule mit Tränengas und Schusswaffen im Feb 2016, Nigeria

Polizei und Militär beendeten eine gewaltlose IPOB-Aktion in einer Schule mit Tränengas und Schusswaffen im Feb 2016, Nigeria

Zeuginnen und Zeugen berichteten, wie zahlreiche Teilnehmende der Versammlung in Aba vom Militär abgeführt wurden. Am 13. Februar 2016 wurden in einer Grube 13 Leichen in einer Grube gefunden. Unter ihnen waren Männer, die zuvor vom Militär abgeführt wurden.

Augenzeugenberichte und Videomaterial von den Kundgebungen belegen, dass das nigerianische Militär vorsätzlich tödliche Gewalt einsetzte. Die Recherchen von Amnesty zeigen ein erschütterndes Muster an willkürlichen Festnahmen und Misshandlungen hunderter Menschen durch Militärangehörige während und nach IPOB-Veranstaltungen, darunter Festnahmen verwunderter Opfer im Krankenhaus sowie Folter von Gefangenen.

Der 26-jährige Händler Vincent Ogbodo (Name zu seinem Schutz geändert) erzählte Amnesty, er sei am Biafra-Gedenktag in Nkpor angeschossen worden und habe sich dann in einem Erdloch versteckt. Als die Soldaten ihn fanden, schütteten sie Säure über ihn: "Ich hielt meine Hände vors Gesicht. Sonst wäre ich jetzt blind. Ein Soldat schüttete mir Säure über die Hände. Meine Hände und mein ganzer Körper brannten. Das Fleisch brannte… Sie zogen mich aus dem Erdloch. Sie sagten, ich würde jetzt langsam sterben."

WARNUNG: Diese Aufnahmen beinhalten Darstellungen von Gewalt, Toten und Hinrichtungen.

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Keine strafrechtliche Verfolgung der Verantwortlichen

Die Beweise, dass die nigerianischen Sicherheitskräfte schwere Menschenrechtsverletzungen wie außergerichtliche Hinrichtungen und Folter begangen haben, sind überwältigend. Trotzdem haben die Behörden bisher keine Ermittlungen eingeleitet.

Ähnliche Versäumnisse bei der strafrechtlichen Verfolgung schwerer Menschenrechtsverletzungen durch das Militär wurden auch in anderen Teilen Nigerias dokumentiert, beispielsweise bei Einsätzen gegen die bewaffnete Gruppierung Boko Haram im Nordosten Nigerias.

Amnesty International hat die nigerianische Regierung dazu aufgefordert, unabhängige Untersuchungen einzuleiten. Präsident Buhari hat wiederholt versprochen, die Amnesty-Berichte zu prüfen. Bisher sind jedoch keine konkreten Schritte unternommen worden.

Durch das Versäumnis der Regierung, Verantwortliche zur Rechenschaft zu ziehen, fühlen sich Militär und Polizeikräfte legitimiert, immer weiter schwere Menschenrechtsverletzungen zu begehen.

"Die Entscheidung der nigerianischen Regierung, bei den Kundgebungen für ein unabhängiges Biafra das Militär einzusetzen, ist hauptsächlich für dieses entsetzliche Blutvergießen verantwortlich. Die Behörden müssen umgehend eine unparteiische Untersuchung einleiten und die Schuldigen zur Rechenschaft ziehen", so Kamara.

Das Militär muss polizeiliche Aufgaben wieder an die Polizei übertragen, die angemessen ausgestattet und ausgebildet werden muss.

Hintergrund

Biafra war ein Staat, der 1967 die Unabhängigkeit von Nigeria erklärte, aber im Zuge des Biafra-Krieges von 1967 bis 1970 wieder eingegliedert wurde. Seit 2012 setzt sich die Unabhängigkeitsbewegung "Indigenous People of Biafra" (IPOB) für die Gründung eines eigenen Staates im Südosten Nigerias ein.

Seit August 2015 kam es zu einer Reihe von Demonstrationen von Mitgliedern und Unterstützerinnen und Unterstützern von IPOB. Die Spannungen nehmen seit der Festnahme des IPOB-Anführers Nnamdi Kanu am 14. Oktober 2015 zu. Nnamdi Kanu befindet sich nach wie vor in Haft.

Für den Bericht hat Amnesty International 87 Videos, 122 Fotos und 146 Aussagen von Augenzeuginnen und Augenzeugen analysiert.

Hier können Sie den Bericht "Nigeria: 'Bullets were raining everywhere': Deadly repression of pro-Biafra activists" auf Englisch als PDF-Datei herunterladen

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