Aktuell Vereinigte Staaten von Amerika 23. Juli 2012

Warum können in den USA geistig Behinderte zum Tode verurteilt werden?

Warren Hill sollte am 23. Juli 2012 mit einer Giftspritze hingerichtet werden

Warren Hill sollte am 23. Juli 2012 mit einer Giftspritze hingerichtet werden

24. Juli 2012 - Gestern wurde im US-Bundesstaat Georgia die Hinrichtung des zweifachen Mörders Warren Hill zum zweiten Mal verschoben. Grund ist die umstrittene Verwendung einer Einzelsubstanz in der Giftspritze, anstatt wie bisher einer Mischung von drei Stoffen. Das Todesurteil gegen Warren Hill ist jedoch auch umstritten, weil er Sachverständigen zufolge geistig behindert ist. 2002 verbot der Oberste Gerichtshof der USA die Hinrichtung von geistig behinderten Menschen, in Georgia ist dies bereits seit 1988 verboten. Wie ist es da möglich, dass das Todesurteil gegen Warren Hill trotzdem bestehen bleibt?

Georgia: Warren Hill

Warren Hill, ein 52-jähriger Afro-Amerikaner, war für den Mord an seiner Freundin zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt worden. Im Gefängnis brachte er einen Mithäftling um und wurde dafür 1991 zum Tode verurteilt. 1996 legten seine Anwälte Rechtsmittel gegen das Urteil ein, mit der Begründung, dass er an einer "geistigen Retardierung" leide.

2002 stellte ein Richter fest, dass Warren Hill tatsächlich über "deutlich unterdurchschnittliche intellektuelle Fähigkeiten" verfüge, aber dass nicht zweifelsfrei "Defizite im adaptiven Verhalten" nachzuweisen seien. Kurz darauf entschied der Oberste Gerichtshof der USA in der Grundsatzentscheidung "Atkins gegen Virginia", dass die Hinrichtung von geistig behinderten Menschen gegen das in der Verfassung verbriefte Verbot grausamer und ungewöhnlicher Bestrafungen verstoße. Die Anwälte von Warren Hill baten um erneute Prüfung seines Falls. Diesmal entschied das zuständige Gericht, dass Warren Hill nach den in den USA üblichen Standards tatsächlich geistig behindert sei. Dieses Urteil wurde jedoch vom Obersten Gericht des Bundesstaates wieder verworfen. Die Richter argumentierten, dass der Oberste Gerichtshof der USA es den einzelnen Bundesstaaten überlassen habe, wie die Entscheidung "Atkins gegen Virginia" umzusetzen sei.

So wurde bis heute keine einheitliche, für die gesamte USA gültige Definition einer "geistigen Behinderung" festgelegt.

Die meisten anderen Bundesstaaten haben sich auf den Standard geeinigt, dass die Beweise für das Vorliegen einer geistigen Behinderung "überwiegen" müssen. Georgia ist der einzige Bundesstaat, in dem "berechtigte Zweifel an der geistigen Behinderung widerlegt" werden müssen. Konkret bedeutet dies, dass Warren Hill in den anderen US-Bundesstaaten als geistig behindert gelten und seine Hinrichtung damit gegen die US-Verfassung verstoßen würde – nicht jedoch in Georgia. So sprach sich am 16. Juli der Begnadigungsausschuss von Georgia gegen die Umwandlung des Todesurteils in eine lebenslange Haftstrafe aus.

Das Todesurteil sollte am 23. Juli vollstreckt werden, wurde jedoch aufgrund der umstrittenen alleinigen Verwendung von Pentobarbital in der Giftspritze, anstatt wie bisher einer Mischung aus drei Stoffen, verschoben.

Weitere Informationen dazu finden Sie hier.

Texas: Yokamon Hearn

Auch in anderen US-Bundesstaaten kommt es immer wieder zu ähnlichen, umstrittenen Fällen. So wurde in Texas am 18. Juli 2012 Yokamon Hearn hingerichtet, der 1998 wegen Mordes zum Tode verurteilt worden war. Zum Tatzeitpunkt war er mit 19 Jahren noch sehr jung, außerdem litt er nachweislich unter einer geistigen Entwicklungsstörung. Der genaue Grad seiner geistigen Behinderung war jedoch umstritten, weshalb sein Gnadengesuch abgelehnt wurde.

Seine jetzigen Anwälte hatten den Pflichtverteidigern des ursprünglichen Verfahrens vorgeworfen, Yokamon Hearn rechtlich nicht angemessen vertreten zu haben. Sie hätten seine familiären und gesundheitlichen Hintergründe nicht ausreichend untersucht und dadurch keine strafmildernden Umstände präsentiert – seine von Armut geprägte Kindheit, die geistige Behinderung seiner Eltern, die Vernachlässigung durch die Eltern, den Alkoholkonsum der Mutter während der Schwangerschaft, eine mögliche Bleivergiftung, Suizidgedanken während der Kindheit und seine eigene geistige Entwicklungsstörung.

In den USA dürfen Minderjährige, die zum Tatzeitpunkt unter 18 Jahre alt waren, nicht zum Tode verurteilt werden.

1993 betonte der Oberste Gerichtshof im Fall von einem Todesstrafenkandidaten in Texas, der zum Tatzeitpunkt 19 Jahre alt war: "Jugend ist mehr als ein chronologischer Fakt. Es ist eine Zeit und ein Zustand im Leben, in dem eine Person anfällig für äußeren Einfluss und seelischen Schaden ist. Ein Mangel an Reife und ein unterentwickeltes Verantwortungsgefühl findet man häufiger bei Jugendlichen als bei Erwachsenen... Diese Eigenschaften führen oft zu ungestümen Verhalten und schlechten Entscheidungen." Trotzdem wurde mit Yokamon Hearn noch im Jahr 2012 ein 19-jähriger Straftäter mit Entwicklungsstörungen und einem extrem schwierigen familiären Hintergrund, dessen Pflichtverteidiger den Fall nicht ordentlich recherchiert hatte, hingerichtet.

Ohio: John Eley

Einen besseren Ausgang nahm kürzlich ein ähnlicher Fall in Ohio. John Eley wurde 1987 wegen Mordes zum Tode verurteilt und sollte am 26. Juli hingerichtet werden. Am 10. Juli 2012 jedoch erklärte der Gouverneur von Ohio, dass er die Todesstrafe in eine lebenslange Haftstrafe ohne Bewährung umwandeln würde. Er argumentierte, John Eleys geistige Fähigkeiten seien beschränkt gewesen und er habe unter Anleitung eines anderen Mannes, der später freigesprochen wurde, gehandelt.

Inzwischen hatten sich unter anderem der Staatsanwalt, der seinerzeit die Todesstrafe beantragt hatte, und der Richter, der das Todesurteil verhängt hatte, gegen John Eleys Hinrichtung ausgesprochen. Der Richter führte in einem Schreiben aus, er habe 1987 dem Todesurteil zugestimmt, weil die Verteidigung "keinerlei strafmildernde Umstände" geltend gemacht habe. Wären die ihm heute bekannten strafmildernden Umstände bereits während des Prozesses bekannt gewesen – "insbesondere die nachgewiesenen geistigen Defizite von Herrn Eley, seine in ärmlichen Verhältnissen verbrachte Kindheit, seine Alkohol- und Drogensucht sowie seine möglichen Gehirnfunktionsstörungen" – so hätte er nicht für die Todesstrafe gestimmt.

Weitere Information zu dem Thema finden Sie in dem kurzen englischsprachigen Bericht "USA: 'I don’t really know what mitigation means’"

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