Aktuell Iran 23. Juli 2009

Trauernde Mütter weinen um Opfer der Gewaltexzesse im Iran

Sohrab Arabi

Sohrab Arabi

Mittlerweile erscheinen die iranischen Zahlen von bis zu 21 Toten bei den Demonstrationen gegen die umstrittenen Wahlen immer mehr als zu gering. Es bleibt extrem schwierig, an Informationen zu kommen, mit den weit reichenden Einschränkungen bei der Übertragung von Nachrichten und Videos aus dem Iran. Im Laufe der letzten Woche ist die Anzahl von inhaftierten Fotojournalisten auf sieben gestiegen. Viele Iraner sind jetzt zu sehr eingeschüchtert, nachprüfbare Einzelheiten über Menschenrechtsverletzungen weiterzugeben. Die Geschichten, die aus dem Iran heraus sickern, zeigen jedoch ein anderes Bild.

Nehmen wir den Fall des 19-jährigen Sohrab Arabi. Er brachte seinen Protest gegen die Wahlen drei Tage danach bei einer Demonstration am 15. Juni zum Ausdruck. Nach dieser Zeit hörte seine Familie über drei Wochen lang nichts von ihm, obwohl seine Mutter ständig in Gefängnissen und Gerichten nach Informationen über sein Schicksal suchte. Dann, am 11. Juli, wurde sie vor Gericht vorgeladen, wegen seiner möglichen Freilassung gegen Kaution. Aber als seine Familie dort vorsprach, zeigte man ihnen ein Buch mit Fotos von Toten, laut Berichten mit 50 bis 60 Bildern, und man fragte sie, ob Sohrab unter ihnen sei.

Stellen Sie sich die Verzweiflung vor, als sie sahen, was sie befürchtet hatten. Und dann fanden sie seine Leiche in der Gerichtsmedizin, wo sie seit dem 19. Juni gelegen hatte. Man gab ihr keine Auskunft darüber, was mit Sohrab in den vier Tagen zwischen seinem "Verschwinden" am 15. Juni und dem Auftauchen seiner Leiche in der Gerichtsmedizin passiert war – wie es zu dem Schuss ins Herz gekommen war, an dem er offensichtlich gestorben war. Er ist nun eine von über 30 Personen, die laut Berichten während oder nach den Demonstrationen getötet wurden. Die wirkliche Zahl dürfte sicherlich höher liegen.

Parvin Fahimi – Sohrab Arabis Mutter – ist Mitglied der "Mütter für den Frieden". Diese Gruppe setzt sich gegen eine mögliche militärische Intervention im Iran wegen dessen Atomprogramm ein, sucht nach realisierbaren Lösungen für die Instabilität der Region und wendet sich gegen die Verhaftung, Inhaftierung und Schikanierung vieler Iraner. Sie ist Teil der lebendigen iranischen Zivilgesellschaft, die glaubt, dass gewöhnliche Iraner – wie die Bürger jedes anderen Landes – Veränderungen zum Besseren in der Welt bewirken können.

Diese Zivilgesellschaft will jetzt nicht zulassen, dass die Erinnerung an ihre toten Kinder verblasst. Eine neue Gruppe hat sich gebildet, genannt "Trauernde Mütter" (Madaran-e Azardar). In den vergangenen vier Wochen haben sie sich schweigend in öffentlichen Parks getroffen, zwischen 7 und 8 Uhr abends – die Zeit, als die junge Frau Neda Agha-Soltan am 20. Juni getötet wurde. Ein Video ihres Todes wurde ins Internet gestellt und ihr Gesicht symbolisiert jetzt die Unterdrückung, die in den letzten Wochen ausgeübt wurde. In dieser Woche, am 18. Juli, erinnerten sie an Sohrab Arabi.

Ihr friedlicher Protest blieb nicht unbemerkt von den Behörden – ihre Versammlungen wurden von Sicherheitskräften aufgelöst und einige wurden verhaftet. Unter ihnen ist Zeynab Peyghambarzadeh, eine Frauenrechtlerin und Studentin, die auch Mitglied der "Eine Million Unterschriften – Kampagne" ist, die ein Ende der rechtlichen Diskriminierung von Frauen fordert. Sie wurde bei der zweiten Versammlung am 4. Juli verhaftet, über Nacht inhaftiert und dann freigelassen.

Der Aufruf der Trauernden Mütter lautet:
"Bis zur Freilassung aller Häftlinge, die wegen ihres Protests gegen den Wahlbe-trug verhaftet wurden, und bis zum Ende der Gewalt und bis zur Strafverfolgung gegen die Mörder unserer Kinder werden wir uns jeden Samstag um 7 Uhr schweigend versammeln, in der Nähe des Ortes, an dem unsere liebe Neda getötet wurde – in der Amirabad-Straße, Laleh-Park, am Brunnen."
Vielleicht können auch Sie sich etwas Zeit nehmen und um 7 Uhr am nächsten Samstag an die Toten im Iran denken und in Solidarität ihren Verwandten, die Gerechtigkeit fordern, beistehen.

Ann Harrison, Amnesty International, 20. Juli 2009
Aus "Livewire", dem Blog des internationalen Sekretariats von Amnesty International
http://livewire.amnesty.org/

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